Eginald Schlattner, Theologe und Schriftsteller

Flucht in die Erinnerung

Als Rumänien im Krieg die Seiten wechselte, gehörte er plötzlich zu den Feinden im eigenen Land. Mit der Deportierung des Vaters nach Russland und der Delogierung der Familie 1945 war Eginald Schlattners Kindheit zu Ende.

Eginald Schlattner über seine Kindheit

"Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können". Dieser melancholische Satz findet sich in den Romanen des siebenbürgischen Schriftstellers und Pfarrers Eginald Schlattner.

Neben diesem Zitat von Jean Paul steht aber ein viel bedrohlicheres Bild, das von Nietzsche stammt: "der Tanzbär, der alles tut, um die Erinnerungen los zu werden, die sich an seinen Fußsohlen so schmerzhaft eingebrannt haben", denn das Leben Eginald Schlattners war von einer Vielzahl an Schicksalsschlägen geprägt und alles andere als erinnerungswürdig...

Sein Vaterland

Als Eginald Schlattner 1933 geboren wurde, war Siebenbürgen, das nach dem Ersten Weltkrieg an Rumänien gefallen war, eine multikulturelle Welt. Rumänen, Ungarn und Siebenbürger Sachsen lebten zusammen, und zwischen ihnen Juden und Roma. Seine kleine Welt war damals schon bedroht, denn in Deutschland kam Hitler an die Macht, und als der Zweite Weltkrieg begann - Schlattner war gerade sechs Jahre alt geworden - kamen ein Jahr später durch den so genannten "Wiener Schiedsspruch" große Teile Siebenbürgens wieder an Ungarn.

Der ungarische Nationalismus, der einen deutschen Satz in der Öffentlichkeit zum Problem werden ließ, hat seine Eltern vertrieben. Sie zogen nach Fogarasch, ein kleines Städtchen am Fuße der Südkarpaten in dem Gebiet Siebenbürgens, der bei Rumänien verblieben war. Dort verbrachte Schlattner seine Jugend:

"Das Land meiner Väter ist es nicht, aber mein Vaterland", sagt er wehmütig.

Der Sturz aus der Kindheit

Nach dem 23. August 1944, als Rumänien im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Seite auf die der Alliierten wechselte, galten die Siebenbürger Sachsen als Kollaborateure Hitlers. Das hatte böse Folgen, aber immerhin musste man nicht um sein Leben fürchten. Rumänien protestierte sogar, als nach 1945 alle arbeitsfähigen Männer in die Sowjetunion verschleppt wurden; es war freilich vergeblich. Unter den Verschleppten war auch Eginald Schlattners Vater. Seine kleine Firma, die bis dahin die Familie ernährt hatte, bestand aber noch weiter bis 1948, zu dem Jahr, in dem der rumänische König zur Abdankung gezwungen wurde. Im November wurde die Familie Schlattner aus ihrer Villa geworfen. Für den 15-Jährigen war das der Sturz aus der Kindheit. Die Familie hatte alles verloren, der Vater landete im Gefängnis.

Ein Jugendlicher sucht seinen Weg

Die damalige Situation beschreibt Schlattner autobiografisch in seinem neuen Roman "Das Klavier im Nebel", der im August 2005 erscheinen wird. Durch die eigene Erfahrung motiviert, anderen zu helfen, die Ähnliches durchmachten, organisierte er in Kronstadt einen Hilfstrupp für diejenigen, die binnen 24 Stunden ihre Wohnung räumen mussten: "Die Mädchen packten ein, die Buben schleppten die Möbel, und so konnte manches Familienerbstück gerettet werden. Es kam vor, dass sie eine alte Rosenholzkommode im letzten Moment aus der Wohnung trugen, bevor sie versiegelt wurde", erinnert sich Schlattner.

Der Klausenberger Kulturkreis

Nach einem missglückten Versuch, sich der Theologie zuzuwenden, studierte er in Klausenburg Mathematik und Hydrologie. Unter den etwa 300 deutschsprachigen Studenten organisierte er einen Kulturkreis, denn Auswandern war damals noch keine Alternative.

Als der Ungarn-Aufstand 1956 auch das kommunistische Rumänien nervös gemacht hatte, war auch der Klausenburger Kulturkreis verdächtig geworden. Schlattner wurde verhaftet; man wollte ihm eine Verbindung mit dem Petöfi-Kreis der ungarischen Studenten nachweisen. Während seiner Haftzeit schrieb er den Roman: "Die roten Handschuhe", in dem er die Verhör-Methoden der Securitate, Misshandlung und Folter eingehend beschrieb. Darin erzählt er auch die Geschichte seines eigenen Verrats: In den Verhören hat er seinem Bruder Kurtfelix Aussagen unterschoben, die dieser gar nicht gemacht hat.

Bruder verurteilt

Aufgrund Schlattners Aussage wurde sein Bruder verhaftet und zu sechs Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Ausgesprochen haben sich die beiden schon bei ihrem Wiedersehen nach Zwangsarbeit und Gefängnis, aber dass für seinen Bruder alles begraben und bereinigt war, hat Eginald Schlattner erst im Jahr 2002 - vier Jahrzehnte später - bei einer Gegenüberstellung vor der Fernsehkamera erkannt, als der Bruder gefragt wurde: "Sagen Sie: Betrachten Sie das als Verrat?" - "Dann sind wir alle Verräter".

Der 99. Pfarrer von Rothberg

Nach der Amnestie, bei der auch sein Bruder Kurtfelix freikam, konnte sich Eginald Schlattner im Haus seiner Vorfahren, 25 Kilometer neben Hermannstadt, niederlassen und 1969 endlich auch seine Staatsprüfung in Hydrologie ablegen. 1973 schrieb er einen Brief an den Bischof von Hermannstadt, der sein Leben noch einmal radikal verändern sollte. Er fühlte sich berufen, Pfarrer zu werden.

Das ist er auch heute noch in dem kleinen Ort Rothberg, einem Ort, wo 1999 schlagartig fast alle Siebenbürger Sachsen nach Deutschland ausgewandert sind. Er ist der 99. seit den Zeiten Maria Theresias und wohl auch der letzte Pfarrer dieser Gemeinde. Keine 20 Sachsen sind geblieben, fast nur alte Leute und kein einziges Kind mehr. Sie leben unter 200 Rumänen und etwa 1.000 Roma, die fast alle ohne Arbeit sind.

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