Rosa Winter, Gitta Martl und Nicole Martl

Uns hat es nicht geben sollen

Rosa Winter hat nie schreiben gelernt, aber erzählen. Und das tut sie ausführlich für Ludwig Lahers Buch. Laher dokumentiert die Lebensgeschichten dreier österreichischer Síntitsa der Opfergeneration von 1939 bis 1945.

Die Síntitsa Rosa Winter hat mehrere Konzentrationslager überlebt, der allergrößte Teil ihrer Familie ist damals umgekommen. "Zigeuner" nannten die Einheimischen sowohl Sinti als auch Roma, und noch heute ist in Österreich dieser Sammelbegriff für die beiden Minderheitenvolksgruppen üblich, wenn auch nicht ganz korrekt.

Gitta Martl ist Rosa Winters Tochter, sie ist die zweite der drei porträtierten Damen in Ludwig Lahers Buch.

Die Dritte ist Nicole Martl, Rosa Winters Enkelin und Gitta Martls Tochter. "Die Síntitsa" hätte das Drei-Generationen-Porträt ursprünglich heißen sollen, aber eben weil die Begriffe "Sinti", "Sinto" und "Síntitsa" nicht wirklich allgemein geläufig sind, ist man davon wieder abgekommen.

Bildungslücken schließen

Von sich selbst schreibt Ludwig Laher im Nachwort, dass er in seinen jüngeren Jahren zwar gegen die US-Verbrechen in Vietnam und den Putsch in Chile auf die Straße gegangen sei und jedes Detail der karibischen Geschichte referieren konnte, aber nichts über die in der Nachkriegszeit weiterhin diskriminierten Sinti und Roma wusste. Diesen Bildungslücken hat Ludwig Laher abgeholfen.

Von Indien waren sie einst aufgebrochen, ihre auf dem Sánskrit beruhende Sprache reden sie noch heute. Die Sinti fanden, knapp dargestellt, ungefähr zur Zeit der "Entdeckung" Amerikas über Böhmen und Bayern den Weg nach Österreich, sie haben vertraute deutsche Namen wie Winter, Lichtenberger oder Kerndlbacher. Die alteingesessenen österreichischen Roma dagegen, Horvath heißen sie, Sarközi oder Baranay, sind eigentlich mit der westungarischen Geschichte verbunden und daher ursprünglich im Burgenland ansässig. Ansässig schon seit Jahrhunderten übrigens, denn unter Maria Theresia und Joseph II. wurden sie zwangsangesiedelt. Die Sinti dagegen zogen bis vor kurzem noch umher, wie ihre Vorväter und -mütter.

Solche Exkurse in die Welt des Faktenwissens nehmen in dem Buch nur einen sehr kleinen Teil des Raumes ein, sie dienen einer Rahmeninformation für die Leser. "Wie man uns nennt, ist mir wurscht, Hauptsache man behandelt uns ordentlich", sagte ein Sinto zu Ludwig Laher während seiner Besuche bei der Sinti-Familie.

Persönlicher Stil

Die heute 82-jährige Rosa Winter hat ihre Geschichte auf Band gesprochen und Laher transkribierte den gesprochenen Text für das Buch. Gitta und Nicole Martl hingegen legten ihre jeweiligen Lebensgeschichten schriftlich nieder. Das Buch "Uns hat es nicht geben sollen" besticht gerade durch die sehr persönlichen Sprech- und Schreibstile der drei Frauen. Nicole Martl, die neben ihrem Jusstudium für Interessensvertretungen der Sinti und Roma arbeitet:

Mir ist der Holocaust ganz nahe. Ich denke mir nicht einfach: Arg, was da meinen Großeltern passiert ist, aber das ist lange her. Bei jeder Ausstellung, jedem Vortrag wird mir bewusst, ich wäre auch dabei gewesen, und wenn es heute wieder passiert, bin ich mitten drin.

Mehr als man glaubt

Innerhalb der europäischen Grenzen gibt es mehr Roma und Sinti, als es zum Beispiel Dänen, Iren oder Esten gibt. Und viele der so genannten "kulturellen Eigenarten" der Sinti und Roma gelten auch bei uns "Gadsche", wie wir von ihnen genannt werden, als vorbildhaft. Da ist zum Beispiel der große Familiensinn oder die Sensibilität für ökologische Zusammenhänge. Vielleicht auch der Wunsch, die Sprache zu erhalten.

In Gitta Martls Familie wird Deutsch und Romanes gesprochen, wobei das Sinti-Romanes sich vom Roma-Romanes etwa so stark unterscheidet wie Deutsch von Niederländisch. In beiden Sprachen gibt es jeweils noch viele regionale, von Lehnwörtern aus anderen Sprachen durchzogene Sonderformen.

Das Buch mit seinen vielen spannenden, traurigen und auch optimistischen Berichten aus Geschichte und Alltag einer Sinti-Familie verlockt dazu, sich weiterzubilden und noch mehr zu diesem Thema zu lesen.

Mehr zum Themenschwerpunkt "Österreich 2005" in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Ludwig Laher (Hg.), Rosa Winter, Gitta Martl und Nicole Martl, "Uns hat es nicht geben sollen. Drei Generationen Sinti-Frauen erzählen", Edition Geschichte der Heimat, ISBN 3902427108