Eine Frau zwischen allen Stühlen

Ausgesetzt

Eine Frau zwischen allen Stühlen. Und das in der Zeit der aufkommenden Bürgerrechtsbewegung der schwarzen Minderheit in den USA: Joyce Carol Oates entwirft in "Ausgesetzt" das Bild eines Amerika, in dem wenig zusammenpasst.

Damals, Anfang der Sechziger, waren wir noch keine Frauen, sondern Mädchen, das wurde, ganz ohne Ironie, als Vorzug angesehen.

Man könnte meinen, der neue Roman von Joyce Carol Oates sei eine gewöhnliche Campus-Geschichte, eine Story vom Erwachsenwerden, von Mädchen-Aufregungen und erster Liebe. Das alles ist er auch, aber sein Horizont ist weiter: Es geht um eingepflanzte Wertsysteme und eigene Erfahrungen, um dumme Eliten und hochbegabte Underdogs, um die Philosophie und den Tod.

Patchwork-Persönlichkeit

Die Ich-Erzählerin, die sich Anellia nennt, aber nicht so heißt, kommt als Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen mit einem Stipendium an eine Universität im Bundesstaat New York. Bis zum Schluss erfahren wir ihren richtigen Namen nicht, was nur logisch ist, hat sie sich doch, wie sie selbst sagt, eine "Patchwork"-Persönlichkeit aus "willkürlich ausgewählten Teilen" gebastelt, nichts Eigenes, nichts von Bestand.

Anellia wird von einer angesehenen Studentinnenverbindung aufgenommen, deren Name Kappa Gamma Pi ebenso geheimnisumwoben ist wie deren altehrwürdige Rituale. Die Hausmutter Mrs. Thayer ist Britin und von der Überlegenheit der Lebenskultur des Empire über das US-Barbarentum durchdrungen. Die Erzählerin findet vor ihren Augen keine Gnade, trotzdem zieht es sie zu der Frau hin, wie es einen zu dem Richter hinzieht, der das strengste Urteil fällt.

Sie versucht nach besten Kräften mitzuspielen, aber es gelingt ihr nicht. Schließlich outet sie sich in einer Art Bekenntniszwang als Jüdin (was sie nur zu einem Viertel ist) und provoziert damit ihren Hinauswurf, denn bei Kappa Gamma Pi denkt man durch und durch rassistisch.

Hörigkeit als Selbstbefreiung

Als würde das nicht genügen, um sich in der Welt der Elite "ausgesetzt" zu fühlen, verliebt sich die Erzählerin auch noch in einen der wenigen schwarzen Studenten des College: Vernor besticht sie durch seine Intelligenz, er dominiert das philosophische Seminar, interessiert sich nicht für sie, sondern für Wittgenstein. Anellia aber hat sich ihn in den Kopf gesetzt, nicht weil er ein Neger, sondern weil er brillant ist, sie spricht ihn an, sie geht ihm nach, sie lässt es geschehen, dass er sie schließlich missmutig entjungfert. Sie erlebt eine Liebe ohne jede Scham, eine Liebe, die an ihrem mehr als lauen Objekt nicht irre wird und nicht ermattet. Hörigkeit zeigt sich hier paradoxerweise als eine Form der Selbstbefreiung.

Sehr bald gilt Aniella überall als die Negerfreundin, was ihr nichts ausmacht. Als die College-Betreuerin sie aber zu sich zitiert, um ihr in wohlgesetzten Worten ins Gewissen zu reden, platzt ihr der Kragen, und sie formuliert zum ersten Mal einen eigenen Standpunkt. Die Beziehung hat nach allen Demütigungen erst ein Ende, als Vernor Anellia buchstäblich vor die Tür setzt.

Verbindende Philosophie

"Ausgesetzt" erzählt nicht einfach von einer Philosophiestudentin, garniert mit passenden Zitaten großer Denker; der Roman integriert die intellektuelle Entwicklung seiner Heldin - Aniella befasst sich intensiv mit Spinozas "Ethik" - in den Gang der Handlung. Er nimmt Philosophie als Nachdenken über das Leben, über den eigenen Platz darin ernst.

Buch-Tipp
Joyce Carol Oates, "Ausgesetzt", übersetzt von Silvia Morawetz, S. Fischer Verlag, ISBN 3100540069