Ein Sektenopfer berichtet

Chiles "Colonia Dignidad"

Er predigte die Liebe Gottes und missbrauchte kleine Buben. Paul Schäfer steht derzeit in Chile vor Gericht. Der Deutsche gründete 1961 die "Colonia Dignidad", ein deutsches Sekten-Lager in Chile, das sich unter der Pinochet-Diktatur zum Folterzentrum wandelte.

Bereits 1961 - im Gründungsjahr der deutsch-chilenischen Sekte "Colonia Dignidad" - gab es gegen den Deutschen Paul Schäfer das erste Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern. Damals entkam er nach einer gut organisierten Flucht. Heute, mehr als 40 Jahre später, steht er wieder vor Gericht.

Efrain Vedder wurde als Baby in Chile von der Sekte zwangsadoptiert. In seinem Buch berichtet er von sexuellem Missbrauch und Zwangsarbeit in dieser Sekte, die während der Pinochet-Diktatur zum rechtsextremen geheimen Folterzentrum für Oppositionelle wurde.

Der Staat im Staat

Die Sekte war ursprünglich in den 50er Jahren in Deutschland entstanden. Nachdem die deutsche Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Paul Schäfer wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs aufnahm, floh er mit einem Teil der Sekte nach Chile und gründete dort 1961 die "Colonia Dignidad" - einen "Staat im Staat" in einem Gebiet von 70.000 Hektar, eingezäunt von Stacheldraht und hoher Mauer, 200 Kilometer südlich der chilenischen Haupstadt Santiago gelegen.

Angeblich sollte dort die urchristliche Gemeinde realisiert werden. Es gab kein Geld; die Sektenmitglieder arbeiteten ohne Entlohnung sieben Tage die Woche auf dem Feld und in handwerklichen Betrieben. Die christliche Ideologie war konservativ und pietistisch. Von klein auf erhielten die Bewohner Beruhigungstabletten und wurden brutal verprügelt.

Ein Sektenopfer berichtet

"Die Buben in der Sekte wurden von Paul Schäfer sexuell missbraucht", so Efrain Vedder in seinem nun erschienenen Buch "Weg vom Leben“. Vedder wurde als Baby seinen chilenischen Eltern entrissen und verbrachte 35 Jahre in der Colonia. Nun versucht er, sich ein neues Leben aufzubauen:

"Zu diesen Menschenrechtsverletzungen konnte es nur deswegen kommen, weil die chilenischen Regierungen die deutsche Enklave seit ihrer Gründung bis Ende der 90er Jahre kaum belangten".

Die Blütezeit der Colonia

Ihre Blütezeit erlebt die "Kolonie der Würde“ während der Ära Pinochet: Der Militärputsch des Generals 1973 wurde von der Colonia aus organisiert. Danach entwickelte sich die Siedlung zum Stützpunkt der Auslandsspionage des damaligen Geheimdienstes DINA. Die Siedlung wurde mit unterirdischen Bunkern, Kommandozentralen, einem umfassenden geheimen Warn- und Überwachungssystem und einem unterirdischen Flugplatz ausgestattet. Außerdem wurde sie zum DINA-Folterlager. Die Spuren zahlreicher politischer Gefangenen verlieren sich in der Colonia. Auch an der Produktion von chemischen und biologischen Waffen scheint die Siedlung beteiligt gewesen zu sein, insbesondere an der Herstellung des Nervengases Sarin.

Insgesamt war die "Colonia Dignidad" zur Zeit Pinochets Anlaufstelle und Zufluchtort für NS-Verbrecher und für rechtsextreme Terroristen. Sie war Arbeitslager für politische Gefangene, Schmuggelzentrum für Waffen, und sie war in Geldwäsche verwickelt.

Öffnung erst 2003

Mit der chilenischen Elite bestanden damals rege Kontakte. Bis in die 80er Jahre hinein unterhielt die Colonia auch beste politische Verbindungen nach Deutschland, konkret zur CSU. Die deutsche Botschaft in Santiago de Chile erfüllte damals eine wichtige Brückenfunktion.

1990 war das Ende der Pinochet-Diktatur. Die Colonia konnte dessen ungeachtet weiter bestehen. Sie wurde in zehn Untergesellschaften aufgeteilt, so dass es kein Vermögen mehr gab, das man hätte konfiszieren können, und sie wurde von der Justiz auch nach Pinochet vorerst nicht belangt. Erst in den letzten Jahren wurde die Führungsclique rund um Paul Schäfer angeklagt. Seit 2003 kann man von einer tatsächlichen Öffnung und Demokratisierung der Colonia sprechen.

Prozess gegen Paul Schäfer

Der untergetauchte Paul Schäfer konnte erst im vergangenen März in Argentinien gefasst werden. Wegen Kindesmissbrauchs war er in Chile bereits in Abwesenheit verurteilt worden. Derzeit läuft ein Verfahren wegen verschwundener Oppositioneller.

Ein Gefolterter als Kronzeuge

Einer der Kronzeugen des Prozesses gegen den Deutschen ist der Chilene Erick Zott. Als linker Aktivist wurde er 1975 in der Colonia systematisch gefoltert und verbrachte danach fast zwei Jahre in chilenischen Gefängnissen, bis er 1976 des Landes verwiesen wurde. In Österreich wurde ihm damals politisches Asyl gewährt.

Im vergangenen März fuhr Erick Zott nach Chile, um gegen Paul Schäfer wegen des Vorwurfs der Folter auszusagen. Sein Anliegen ist heute, dass die ehemaligen Sektenmitglieder, die nun vor dem Nichts stehen, von der deutschen und der chilenischen Regierung Hilfe erhalten. Auch die Angehörigen der in der Colonia verschwundenen politischen Gefangenen sollen bei der Aufklärung der Verbrechen von damals unterstützt werden.

Mehr zum Thema Außenpolitik in Ö1 Inforadio

Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach Ende der Live-Ausstrahlung im Download-Bereich herunterladen.

Buch-Tipps
Efrain Vedder, "Weg vom Leben", Ullstein Verlag, ISBN 3550076134

Friedrich Paul Heller, "Colonia Dignidad. Von der Psychosekte zum Folterlager", Schmetterling Verlag, ISBN 392636999X

Links
Lexikon Rechtsextremismus - Colonia Dignidad
Wikipedia - Paul Schäfer