Wirtschaft und Gesundheit

Armut macht krank

Hätte Armut den Geruch von giftigen Lösungsmitteln, das Arbeits-Inspektorat würde sie sofort verbieten. Aber Armut riecht nicht, und trotzdem gleichen ihre gesundheitlichen Folgen denen von giftigen Chemikalien.

Zu den Armen zählen in Österreich laut EU-Berechnung immerhin sieben Prozent - das sind 560.000 Österreicher - sie haben weniger als 655 Euro pro Monat zur Verfügung. Das ist weniger als 50 Prozent des Durchschnittseinkommens.

Armutsgefährdet sind knapp über eine Million Menschen, wie der Sozialbericht 2003 belegt - Tendenz steigend. In der Armutszone leben vor allem Arbeitslose, Pensionisten und allein erziehende Mütter samt Kindern.

Armut in westlichen Ländern

"Armut" in westlichen Ländern besteht nicht mehr aus einem Mangel an Grundnahrungsmitteln. Armut definiert sich durch das Umfeld - wo es zum Alltag gehört, sich Ausgehen und Kinokarten leisten zu können, dort gilt als arm, wer das mangels Geld nicht kann.

"Bei uns geht es - im Gegensatz zu Drittweltländern - um die relative Armut", sagt Kinderpsychiater Ernst Berger. "Relative Armut heißt, dass eine besonders große Kluft zwischen oberen und unteren Einkommen besteht. Eine ganze Menge von Daten weisen darauf hin, dass Länder, in denen die Kluft zwischen Arm und Reich besonders groß ist, auch besonders schlechte Gesundheitsdaten haben. Bei den Herzkreislaufkrankheiten genauso wie bei den psychischen Krankheiten zum Beispiel von Kindern und Jugendlichen."

Und deshalb, so bemerkt der Primar der Kinderneurologie am Rosenhügel, seien Unterschichtpatienten in seiner Abteilung stark überrepräsentiert.

Die Situation in Österreich

Auch in Österreich sind die Einkommen aus Kapital in den letzten Jahren gestiegen, die aus Arbeit gesunken, wie der Sozialbericht dokumentiert. Ein typisches Zeichen für ansteigende Einkommensungleichheiten. Die obersten ein Prozent besitzen etwa ein Drittel des österreichischen Gesamtvermögens - und damit knapp mehr als die unteren 90 Prozent.

Welch zentrale Rolle eine gerechte Einkommensverteilung für die Gesundheit einer Gesellschaft spielt, hat der Engländer Richard Wilkinson in seinem Buch "Kranke Gesellschaften" gezeigt.

Kranke Gesellschaften

Frauen und Männer mit einem niedrigen Bildungsabschluss sind zum Beispiel dreimal häufiger bei schlechter Gesundheit als jene mit Matura oder Studium. Arme sterben bis zu viermal häufiger an Herzinfarkt als Reiche - was sich letztendlich in einer um bis zu sieben Jahre geringeren Lebenserwartung niederschlägt.

Wilkinsons Gleichung lautet: in Gesellschaften, in denen die Einkommensunterschiede größer sind, ist auch der soziale Zusammenhalt geringer und die Konkurrenz um sozialen Status ist größer.

"Ungleichheiten zerstören soziale Beziehungen. Und es sieht immer mehr so aus, als sei die Qualität der sozialen Beziehung für die Gesundheit einer Gesellschaft am wichtigsten", so Wilkinson.

Die Whitehall-Studien

Wie sehr sich die relative Einkommensverteilung auf die Gesundheit auswirkt, haben in den 90er Jahren die Whitehall-Studien gezeigt. Dabei wurden einmal 10.000 und ein andermal 17.000 englische Beamte aus den unterschiedlichsten Hierarchie-Ebenen untersucht:

Es ist ganz erstaunlich, wie sich allein die Todesraten innerhalb ein und desselben Büros unterscheiden. Da findet man zum Beispiel, dass die Todesraten bei untergeordneten Beamten um bis zu dreimal höher sind als bei jenen in oberen Ebenen. Das hat sehr wenig mit absoluter Armut zu tun. Da wurden ja keine Obdachlosen und Arbeitslosen untersucht. Die Beamten kamen alle aus der englischen Mittelklasse. Die Gesundheitsunterschiede erfassen also die ganze Gesellschaft, nicht nur die ganz unten. Die zahlen am meisten drauf.

Wohlstand verlängert das Leben

Gesundheitsstatistiker meinen, dass die Fortschritte in der modernen Medizin nur etwa ein Viertel zur steigenden Lebenserwartung beigetragen haben. Am stärksten hätten soziale Verbesserungen zu einem längeren Leben beigetragen, was nicht nur mit der weitgehenden Ausrottung von Infektionskrankheiten des 19. Jahrhunderts zu tun hat.

Die USA zum Beispiel hat eine der teuersten medizinischen Versorgungen der Welt, mit vielen Ärzten und Spitalsbetten. Trotzdem rangieren die Vereinigten Staaten in einer internationalen Gesundheitsskala weit hinten, bei Platz 25.

Kulturelle Unterschiede

Je nach Kultur schlagen sich krankmachende Umstände in jedem Land anders nieder. In Österreich zum Beispiel ist der Alkoholismus ausgeprägter als anderswo.

Für Sozialmediziner wie Richard Horst Noack von der Universität Graz ein soziales Alarmzeichen, das in der Gesundheitsstatistik aber oft verschleiert wird. Denn einerseits gehen die Raten an Herzkreislaufkrankheiten zurück, sie gehen aber nicht so schnell zurück wie in vergleichbaren Ländern.

Ein deutlicher Hinweis, dass sich die in den letzten Jahren ständig weiter aufgehende Einkommensschere auch in der sozialen Gesundheit bemerkbar macht.

Dass es nicht um das absolute Einkommen, sondern um die Verteilung geht, dokumentieren Länder wie Griechenland, Costa Rica oder Bangladesh: Die weisen nämlich, trotz viel schlechterer Wirtschaftszahlen, eine ausgezeichnete soziale Gesundheitsstatistik samt Lebenserwartung auf.

Download-Tipp
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Buch-Tipp
Richard G. Wilkinson, "Kranke Gesellschaften. Soziales Gleichgewicht und Gesundheit", Springer Wien/New York. 2001, ISBN 3211834818

Link
Sozialministerium - Sozialbericht 2003-04