Widerstand mit Jazz

Sonst kommst du ins KZ

Das Musical "Swinging Berlin-Tanzen verboten", derzeit in Berlin zu sehen, thematisiert die Rolle des Jazz im Dritten Reich. Giselher Smekal hat sich auf Spurensuche begeben: Warum riskierten Jugendliche für Jazz die Einweisung in Konzentrationslager?

Viele Studien wurden bisher angefertigt, zu erforschen, wie sich die Bevölkerung Deutschlands und der so genannten "Ostmark“ zur willenlosen Masse wandelte, welche die Exzesse der Nazi-Diktatur unterstützte. Doch es scheint wichtiger, mehr in Richtung Ursachenforschung zu machen, warum dies geschah, obwohl die Menschen damals über die Gräuel der Konzentrationslager durchaus informiert gewesen sein mussten, von denen sie später aber angeblich nichts mehr wussten. "Du kommst sonst ins KZ“, war eine alltägliche Warnung der Eltern, die renitenten Jugendlichen von Jazz und Swing abzubringen.

Jazztanz verboten

"Swinging Berlin - Tanzen verboten“ ist der Titel eines Musicals, das derzeit im Berliner Theater am Kurfürstendamm gegeben wird. Es ist die Geschichte von "Leo’s Bar“, die es tatsächlich am Lehniner Platz bis 1943 gegeben hat. Natürlich geht es nicht nur um die Rolle des Jazz, sondern auch um menschliche Schicksale, die Verfolgung jüdischer und homosexueller Menschen und all jener, die sich nicht dem Diktat des Nationalsozialismus unterwerfen wollten - junger Menschen, für die Swing und Jazz Ausdruck ihres Strebens nach Eigenständigkeit war und die dafür auch die Einweisung in Konzentrationslager riskierten.

Helmut Baumann, Jahrgang 1939, Ex-Solo-Tänzer an der Hamburgischen Staatsoper, der fünfzehn Jahre lang (bis 1999) Intendant des "Theaters des Westens“ war, ist Regisseur und Hauptdarsteller des Musical "Swinging Berlin“, das vor vier Jahren im Hamburger "Schmidt's Tivoli“ als "Swinging St. Pauli“ zu sehen war. Baumann hat das Stück "auf Berlin“ umschreiben lassen, denn die Reichshauptstadt war in den 30er und 40er Jahren die Metropole des verpönten Jazz.

Die Musik greift nicht zurück auf historische Standards. Martin Lignau, musikalischer Leiter in "Schmidt’s Tivoli“ komponierte alle Songs im Stil der 40er Jahre, inspiriert vom Big-Band-Sound und den Schlagern der Zeit. Und Regisseur Baumann meinte, es sei Zufall, dass das Stück gerade zum 60. Jahrestag des Kriegsendes herausgebracht werden konnte und damit Aufmerksamkeit erregt, sich mit dem Jazz im Dritten Reich und der jugendlichen Subkultur der "Swingfans“ zu beschäftigen.

Die Nazis und der Swing

Immer wieder wird die undifferzierte Behauptung wiederholt, Jazz und Swing Music seien von den Nazis generell verboten worden. Die Geschichte des Jazz im "Dritten Reich" verlief dagegen sehr kompliziert. Schon 1925, als das "Sam Wooding Orchestra" durch Europa tourte, wussten selbst ernannte Kulturfunktionäre der Nationalsozialisten, dass es sich um eine "verjudete Niggerschau“ handle, mit der Absicht "deutsche Moral“ zu untergraben. Bezeichnend ist das Plakat der Ausstellung "Entartete Musik“, das die Karikatur eines Saxofon spielenden schwarzen Musikers zeigt, der am Revers seines Fracks einen Davidstern trägt.

Bedeutsam in seiner Auswirkung war allerdings das "Reichskulturkammer-Gesetz“ von 1933, mit dem "Nicht-Ariern“ die Ausübung von künstlerischen Berufen untersagt wurde. Da der Anteil der jüdischen Musiker unter den deutschen Unterhaltungsmusikern überdurchschnittlich hoch war, verursachte diese rassistische Maßnahme einen bedeutenden Verlust im Musikleben.

Die Tricks der Jazzer

Kontrolleure der Reichmusikkammer überprüften regelmäßig die Musikensembles und deren Repertoire. Das führte zu unglaublichen Tarnungs-Tricks für Kompositionen aus den USA und Großbritannien, die - aus Feindesland stammend - nicht hätten aufgeführt werden durften.

Der "Tiger Rag“ wurde in "Schwarze Panther“ umbenannt, "Woodchoppers’ Ball“ wurde zum "Holzhackerball“ und der "St. Louis Blues“ wurde ein "Lied vom blauen Ludwig“. So simpel das klingt, bemerkten die Schnüffler der Reichsmusikkammer und der Hitler-Jugend, die überfallsartig in den Bars und Musikkneipen auftauchten, nicht die einfachen Verballhornungen der Titel, waren sie offensichtlich bar jeder Fachkenntnis.

Das Jazz-Verbot im Radio

Allerdings verhängte der Reichrundfunkintendant Hadamovsky schon 1935 ein Jazz-Verbot und gründete einen Prüfungsausschuss zur "Kontrolle der Tanzmusik“, um das deutsche Volk von der "Unkultur des Jazz“ zu beschützen. Allerdings hatten auch diese "Kulturschützer“ ihre Not mit der Definition, was als "Jazz“ zu gelten hat. Goebbels versuchte 1941, den Begriff "Jazz“ zu präzisieren:

Musik mit verzerrten Rhythmen, mit atonaler Melodieführung und Verwendung von so genannten gestopften Hörnern.

Zwar gab es nie ein gesetzliches Verbot der Jazz-Musik, doch zu diesem Zeitpunkt war der Jazz durch lokale und regionale Verfügungen im ganzen Reich verpönt, war "Swing-Tanzen“ überall untersagt. Dennoch wurden Jazz und Swing zum Fanal unter den Jugendlichen und zum Ausdruck des Widerstandes gegen das Regime. Reichsführer Heinrich Himmler verordnete:

Alle Rädelsführer männlicher und weiblicher Art, unter den Lehrern diejenigen, die feindlich eingestellt sind und die Swing-Jugend unterstützen, sind in ein Konzentrationslager einzuweisen. Dort muss die Jugend zunächst einmal Prügel bekommen und dann in schärfster Form exerziert und zur Arbeit angehalten werden. Der Aufenthalt im Konzentrationslager für die Jugend muss ein längerer, zwei bis drei Jahre sein. Es muss klar sein, dass sie nie wieder studieren dürfen. Bei den Eltern ist nachzuforschen, wie weit sie das unterstützt haben. Haben sie es unterstützt, sind die ebenfalls in ein Konzentrationslager zu verbringen und das Vermögen ist einzuziehen.

Natürlich können die "Swinger“ der 40er Jahre nicht mit politischen Widerstandsgruppen wie der "Weißen Rose“ verglichen werden. Aber ihre Ablehnung der politischen und paramilitärischen Disziplinierung durch "Hitler-Jugend" (HJ) und den "Bund deutscher Mädchen" (BdM) und ihre Einschätzung als politisch gefährliche Gruppierung, die vom Regime massiv bekämpft wurde, hatte eine vermutlich nicht unbedeutende Wirkung auf die Gesellschaft im "Dritten Reich". Das scheinbar beiläufige Thema "Jazz unter den Nazis“ sollte aus diesem Grunde vermehrt wissenschaftlich untersucht werden.

Buch-Tipps
Franz Ritter (Hg.), "Heinrich Himmler und die Liebe zum Swing“, Reclam, ISBN 3379014931

Michael H. Kater, "Gewagtes Spiel - Jazz im Nationalsozialismus“, Kiepenheuer & Witsch, ISBN 3936324123

CD-Tipps
"Swing tanzen verboten“ - beliebte Tanzorchester der 30er und 40er Jahre, eastwest records 1995

"Swing tanzen verboten“, Bear Family Records 2004