Tatsachen, Kritiken, Meinungen

Der Kapitalismus in der Krise

Steigende Unternehmensgewinne und Traumgagen für Manager bei steigender Arbeitslosigkeit: SPD-Chef Franz Müntefering übt massive Kritik am Kapitalismus, vergleicht Kapitalisten mit "Heuschrecken, die alles wegfressen". Ist diese Kritik berechtigt?

Österreichische Wirtschaftsexperten im Studiogespräch

Es kriselt in unserer kapitalistischen Gesellschaft, denn Kapitalismus ist ein Zwangsgesetz des Marktes, dem kein Unternehmen zuwider handeln kann. Das logische Ziel einer Wirtschaft ist es, ihren "Erfolg" an der Höhe abstrakten Geldgewinns zu bemessen. Rücksichtslose Konkurrenz um Profite wie um Arbeitsplätze ist daher eine logische Folge des Marktes. Dass dabei a là long der Mensch quasi als Nebenprodukt auf der Strecke bleibt, ist heute nur zu offensichtlich, denn die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander.

Die Heuschreckenplage

Die Arbeitslosigkeit in Europa steigt und steigt, andererseits werden von Unternehmerseite Stellen abgebaut, um Gewinne zu erzielen. SPD-Chef Franz Müntefering beispielsweise übt massive Kritik am Kapitalismus, vergleicht Kapitalisten mit Heuschrecken, die alles an Gewinn wegfressen, und wenn nichts mehr zu holen ist, weiterziehen - zum nächsten Kahlfraß. Ist diese Kritik berechtigt?

Der Weg in die Krise

Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und der staatlich gelenkten Planwirtschaft hat die Marktwirtschaft ihren Siegeszug rund um den Globus angetreten. Der Höhepunkt dieses Siegeszuges ist zugleich zum verhängnisvollen Rückschlag geworden: Das Platzen der IT-Blase, als viele meinten, es sei mit Internet und Informationstechnologie ein neues Zeitalter angebrochen, jenes der New Economy. Ein folgenschwerer Irrtum.

Der Börsenboom der späten 90er Jahre mit dem anschließenden Katzenjammer ist immer noch nicht überwunden, wie das Misstrauen gegenüber dem Aktienmarkt bei den kleinen Sparern zeigt. Das Prinzip des Shareholder Value wurde beibehalten, also der Vorrang des Wohls der Aktionäre bei allen Aktivitäten von Unternehmen.

Feindbild Globalisierung

Zugleich wurde die Globalisierung immer mehr zum Feindbild, zunächst früherer Linker, denen der blitzschnelle Kapitaltransfer rund um die Welt als unverdienter Profit durch Spekulation erschien. Breitere Ablehnung ist dann schnell gekommen: als immer mehr Unternehmen Fertigung und Arbeit erst nach Osteuropa, später denn nach Ostasien verlagert haben, als die Arbeitslosigkeit in Europa eine greifbare Ursache bekommen hatte.

Von der Kritik an der Globalisierung zur allgemeinen Kapitalismuskritik war es dann nur mehr ein Schritt, erleichtert allerdings durch diverse Fehlentwicklungen. Bilanzskandale in den USA, exzessive Managergehälter bei gleichzeitigem Personalabbau. Sparen wird zwar von den Angestellten verlangt, ein Selbstbedienungsladen aber für “die da oben“, Aufsichtsräte ebenso wie Vorstände - politisch scharf formuliert zuletzt von SPD-Chef Franz Müntefering.

Der Blick zum großen Nachbarn

Trotz steigender Gewinne plant eine Reihe der im Dax-Aktienindex zusammengefassten 30 deutschen Unternehmen einem Pressebericht zufolge den Abbau von Stellen. Das berichtete der "Tagesspiegel" unter Berufung auf eine eigene Umfrage unter den Dax-Firmen. Diese Strategie hätten viele Konzerne auch schon im vergangenen Jahr angewandt.

Die Allianz-Gruppe etwa verdiente 2004 mehr als dreimal so viel wie im Vorjahr, während die Mitarbeiterzahl um knapp 17 Prozent sank, heißt es in dem Bericht. Auch RWE erzielte demnach einen mehr als doppelt so hohen Gewinn, reduzierte die Beschäftigtenzahl aber um über ein Fünftel. Bei BASF fielen laut "Tagesspiegel" 63 Prozent mehr Gewinn an, aber die Beschäftigtenzahl fiel um 15 Prozent. Henkel verdiente demnach zehn Prozent mehr und senkte die Stellenzahl um fünf Prozent.

Stellenabbau, soweit das Auge reicht

Bei der Deutschen Telekom sprudelten die Gewinne und bleibe die Beschäftigtenzahl im Vergleich der beiden Jahre nahezu konstant, heißt es weiter im "Tagesspiegel". Erst auf den zweiten Blick werde eine ähnliche Strategie wie bei der Deutschen Bank deutlich, da das Unternehmen in den beiden kommenden Jahren massiv Stellen abbauen wolle.

Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann hatte vergangene Woche einen Gewinn von 2,5 Milliarden Euro für 2004 verkündet und gleichzeitig gesagt, dass bei der Deutschen Bank 6.400 Stellen abgebaut werden sollten. Der deutsche Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) forderte die Unternehmensführungen daraufhin auf, angesichts der hohen Arbeitslosigkeit zu ihrer Verantwortung für den Standort Deutschland zu stehen. Auch der neue BDI-Präsident Jürgen Thumann forderte die Unternehmen zu mehr sozialer Verantwortung auf.

Mehr zum Thema Wirtschaft in Ö1 Inforadio

Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach Ende der Live-Ausstrahlung im Download-Bereich herunterladen.

Links
Industriellenvereinigung
MINAS-Gruppe
Wifo-Institut