Vernichtung durch Arbeit

KZ Mauthausen

Am 5. Mai 1945 rollen zwei US-Panzer durch das Tor des KZ Mauthausen. Die Amerikaner finden jubelnde Häftlinge. Und dann: tausende sterbende Menschen in den Baracken. Tote wie Holz gestapelt. Mauthausen gilt als eines der schlimmsten Lager überhaupt.

Das Konzentrationslager Mauthausen zählte innerhalb des NS-Lagersystems zu den am meisten gefüchteten Konzentrationslagern, erklärt Harald Hutterberger, der Leiter des Besucherzentrums der heutigen Gedenkstätte Mauthausen.

Mauthausener Granit ist gut und hart, er eignet sich für die Reichsautobahn und die Linzer Nibelungenbrücke. Die Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH liefert Baumaterial aus den Steinbrüchen von Mauthausen und dem nahen Gusen. Das Unternehmen gehört der SS. Arbeitskräfte gibt es im Lager. Berüchtigt ist die so genannte Todesstiege im Steinbruch

Die Bedeutung Mauthausens

Je länger der Krieg dauert, desto mehr Arbeiter braucht die Rüstungsindustrie. Das verschafft eine Gnadenfrist. Mauthausen wandelt sich vom Tötungslager zum Konzern, der Zwangsarbeit und Mord vereint.

49 Nebenlager entstehen. In Ober- und Niederösterreich, in der Steiermark, in Wien, in Kärnten. Hier sind mehr Häftlinge als in Mauthausen selbst. Sie montieren Flugzeugteile in der Hinterbrühl, verarbeiten Hochofen-Schlacke in den Göring-Werken in Linz und graben unterirdische Fabriken für Steyr-Daimler-Puch in Melk. Sie bauen den Loibl-Tunnel und die Wasserkraftwerke im Ennstal. In Ebensee treiben sie ein Stollensystem in den Berg.

In diesen Stollen will die Heeresversuchsanstalt Peenemünde eine Interkontinentalrakete entwickeln, sagt Andreas Schmoller vom Zeitgeschichte-Museum Ebensee. Die A9 soll Ziele in Amerika erreichen. Dafür sterben hier 8.000 Menschen. Die durchschnittliche Lebensdauer eines Häftlings im Lagersystem von Mauthausen beträgt sechs Monate. Für Menschen jüdischer Herkunft einige Wochen, in den Steinbrüchen wenige Tage. Das bedeutet ständige Todesangst, sagt der Historiker Florian Freund.

Der Tod war unser Begleiter. Wir waren doch ganz abgestumpft. Nichts Menschliches war bei uns mehr vorhanden. Die Toten waren noch nicht tot, da hat man schon gesucht das Stück Brot. Wir wollten leben. Ein Stück Brot hat das bedeutet.
(Leon Zelman)

Wissen war möglich

Das Konzentrationslager steht als steinerne Festung weit sichtbar auf einem Hügel. Was hinter den Mauern geschieht, ist nicht öffentlich - verbergen lässt es sich nicht. Das Feuer der Krematorien, der Gestank von verbranntem Fleisch, "das war feststellbar. Und das muss jeder festgestellt haben, weil ich habe es auch gesehen", sagt Johann Freudenthaler, der in einem Haus neben dem Lager aufwächst.

Die Leute haben ja gewusst: lebend kommst du da nicht mehr raus, wenn du da oben bist. Und dann hat es geheißen: wenn du den Mund aufmachst - schau am Berg rauf.
(Johann Freudenthaler)

Vereinzelter Widerstand

Den sicheren Tod in Aussicht, wagen 500 Kriegsgefangene der Roten Armee im Februar 1945 die Flucht. Sie überwältigen die Wachposten und klettern über die Mauer. Obwohl das Kriegsende längst absehbar ist, jagen und töten SS und Volkssturm die Entflohenen. Von 500 entkommen 11. Man spricht von "Hasenjagd".

Die Leute waren wie bei einer Treibjagd aufgestellt. Geschossen wurde auf alles, was sich rührte. Der Schneematsch auf der Straße färbte sich mit dem Blut der Erschossenen. Überall, in den Wohnungen, Wagenhütten, im Kuhstall, am Heuboden, im Keller, wenn man sie nicht herausholte und beim nächsten Hauseck erledigte, erschoss man sie auf der Stelle. Einigen spaltete man das Haupt mit einem Beil.
(Aus dem Bericht des Gendarmerie Postenkommandanten von Schwertberg)

Auschwitz neu?

Zum Kriegsende ist Mauthausen Ziel der Todesmärsche aus anderen Konzentrationslagern. In den letzten Monaten sterben hier mehr Menschen als in sechs Jahren zuvor. Das Vernichtungslager Auschwitz ist zu dieser Zeit bereits befreit. Vorher wurden aus den Gaskammern dort die Installationen zur Vergasung und Verbrennung abgebaut. Sie sind noch verwertbar.

Aus einem Schreiben der Firma Topf & Söhne, Hersteller von Krematoriumsöfen, an die Bauleitung der Waffen-SS und Polizei Mauthausen. 10.Februar 1945:

In der Anlage übersenden wir Ihnen eine Zeichnung. Das mittlere Hauptgebäude enthält zweimal 5 Stück-Einäscherungs-Öfen. Der Mittelbau erhält nach der Aussenseite den Raum für die Aufsichtspersonen. Wir setzen beim Entwurf der Anlage voraus, dass alle Teile vom KL Auschwitz wieder Verwendung finden sollen. Das bezieht sich sowohl auf die Eisenteile für die Öfen und für die einzelnen Be- und Entlüftungsanlagen.
(Quelle: Dachauer Hefte Bd. 20, S.58f)

Für den Historiker Bertrand Perz zeigt das die konkreten Planungen für die Neuerrichtung der Krematorien von Auschwitz Birkenau in der Nähe von Mauthausen. In einem Waldgelände, zehn Kilometer von Mauthausen entfernt, sollten 15 Krematoriumsöfen neu erreichtet werden. Das war Planungsstand Februar 1945. Es stelle sich die Frage, so Perz, für wen? Ging das Regime davon aus, die evakuierten Lagerinsassen aus dem Osten hier zu töten, "oder dachte man schon an neue Gruppen, die man dort später töten wird", so Perz. Diese Frage lasse sich heute nicht klären, belegt sei die Tatsache, dass Auschwitz quasi neu in der Nähe von Mauthausen errichtet werden sollte.

Bis zum bitteren Ende

Mauthausen bleibt in Betrieb bis zuletzt. Auch als Wien befreit ist und Österreich seine Unabhängigkeit erklärt hat. Noch nach der Gründung der Zweiten Republik am 27. April 1945 werden in der Gaskammer von Mauthausen Menschen erstickt. Als am 1. Mai die Verfassung Österreichs in Kraft tritt und in Wien mit dem Figaro die Volksoper wieder öffnet, erschiesst die SS in Mauthausen Häftlinge des Krematoriumskommandos. Zeugen werden beseitigt.

Erst am 3. Mai setzt sich die SS aus dem Lager ab. Die Bewachung übernehmen Feuerwehrleute. Die Lage bleibt unklar: die SS kann zurückkommen, tausende kranke, unterernährte Häftlinge sind unversorgt. Am 5. Mai schließlich lotst ein Rot-Kreuz-Mann zwei amerikanische Panzer ins Lager. Die Zustände sind chaotisch.

Ein Teil der Häftlinge ist plündern gegangen in die Umgebung. Manche haben Bauern erschlagen. War ein riesiger Hass, riesiger Hass gegen alles deutsch Sprechende.
(Hans Marsalek)

Die Zeit danach

Wo die Häftlingsbaracken in Ebensee und Gusen standen, werden nach dem Krieg Wohnhäuser gebaut. Nebenlager wie in Melk oder am Loiblpass sind beinah vergessen. In Mauthausen werden fast alle Baracken abgerissen. 1949 entsteht ein erstes großes Denkmal für die französischen Opfer. Nach und nach folgen andere Nationen. Heute ist das ehemalige Konzentrationslager Mauthausen einer der am meisten besuchten Ausstellungsorte Österreichs, mit mehr als 200.000 Besuchern im Jahr.

Wir sind die lebenden Steine,
harte und nackte Felsen.
Wir schwitzen bei Sonne und Schlägen
im Steinbruch Mauthausen - Gusen.

Wir sind die lebenden Steine,
obdachlose Steine.
Uns küssen keine Flüsse,
uns tötet der verfluchte Schütze.

Wir sind die lebenden Steine
aus der Tiefe der Hölle,
wir Sklaven müssen doch glauben -
an Menschen - Menschen und Liebe.

(Wlodzimierz Wnuk: Die lebenden Steine. Geschrieben 1941 im Konzentrationslager Mauthausen.)

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Buch-Tipps
Pierre Sierge Choumoff, "Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas auf österreichischem Gebiet", Mauthausen-Studien Bd. 1a

Sekretariat des Internationalen Militärgerichtshofes (Hg.), "Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof", Nürnberg 1947, Österreichisches Staatsarchiv

Florian Freund, "KZ Ebensee", Hg. Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Wien 1990

Hans Marsalek, "Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen", Hg. Österr. Lagergemeinschschaft Mauthausen - Mauthausen Aktiv

Bertrand Perz, Florian Freund, "Auschwitz neu?", Dachauer Hefte Nr.20

Leon Zelman, "Ein Leben nach dem Überleben", Kremayr&Scheriau, Wien 2005

Links
KZ-Gedenkstätte Mauthausen
Mauthausen Komitee Österreich
Dokumentationsarchiv des Österr. Widerstandes
KZ-Gedenkstätte und Zeitgeschichtemuseum Ebensee
KZ-Gusen Memorial Committee
Loibl-Memorial
2005.ORF.at