Scharfe Konturen

Mendelssohns Oktett op. 20

Felix Mendelssohn-Bartholdys "Oktett für Streicher, op. 20" zählt zu den Kostbarkeiten der Kammermusik. Und gerade dieses Werk wird oft unterschiedlich interpretiert. Dabei sollten die MusikerInnen "im Style eines symphonischen Orchesters" spielten...

L` Archibudelli und Emerson String Quartet mit Mendelssohn

Dieses Oktett muss von allen Instrumenten im Style eines symphonischen Orchesterwerkes gespielt werden. Pianos und Fortes müssen genau eingehalten und schärfer betont werden, als gewöhnlich in Werken dieses Charakters.

Dieser Hinweis Felix Mendelssohn-Bartholdys zu seinem "Oktett für Streicher, op. 20" verrät einerseits, dass schon damals - zur Zeit der Entstehung dieses Werkes 1835 - die Gefahr solistischer Willkür bei Kammermusikern bestand, andererseits, dass dieses Werk nicht als "Doppelstreichquartett" missverstanden werden darf, sondern die acht Streicher aus acht Stimmen einen symphonischen Klang weben sollen.

Keck und frech

Die Aufnahmen dieses in seiner Art (zumindest damals) einzigartigen Werks unterscheiden sich in jedem der vier Sätze auf andere Weise. Das heißt, es gibt keine Aufnahme, von der man sagen kann: hier wird insgesamt schneller musiziert oder transparenter usw.

Im ersten Satz, in dem die erste Violine sehr dominiert und der Züge eines Violinkonzertes trägt, tritt in den verschiedenen Aufnahmen dieses Instrument einmal mehr, einmal weniger hervor. Interessant: der Vergleich zwischen Aufnahmen mit historischen Instrumenten (Hausmusik London oder L’Archibudelli & Smithsonian Chamber Players) und solchen, die die modernen, im Laufe des 19. Jahrhunderts aufkommenden Streichinstrumente benutzen (Australian Chamber Orchestra oder Emerson String Quartett). Hier finden sich deutliche Unterschiede in der Phrasierung, aber auch im Tempo.

Im berühmten dritten Satz etwa, dem Scherzo, wählen die Ensembles L’Archibudelli & Smithsonian Chamber Players ein relativ langsames Tempo und eine besonders weiche Artikulation. In der erst kürzlich erschienenen Aufnahme des Emerson String Quartetts (die jede Stimme doppelt aufgenommen haben und darum als Quartett ein Oktett spielen) bekommt dieser Satz durch ein schnelleres Tempo und härtere Artikulation einen wesentlich "frecheren" und geradezu bizarren Scherzo-Charakter.

CD-Tipps
Felix Mendelssohn-Bartholdy, "Oktett für Streicher in E-Dur, op. 20", L’Archibudelli & Smithsonian Chamber Players, Sony SK 48307

Felix Mendelssohn-Bartholdy, "Oktett für Streicher in E-Dur, op. 20", Emerson String Quartett, DG 4CDs 477537-0

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