Verzögerungen sind möglich

Bulgarien vor EU-Beitritt

Bulgarien hat eine wirtschaftliche und politische Erfolgsstory geschrieben, die vor 15 Jahren, beim Zusammenbruch des kommunistischen Systems, kaum jemand vorherzusagen wagte. Am 25. April soll der EU-Beitrittsvertrag unterzeichnet werden.

Eine digitale Leuchtuhr an einer Fassade gegenüber dem bulgarischen Parlament zählt für alle sichtbar die Tage herunter, bis Bulgarien Mitglied der Europäischen Union sein wird: 618 Tage waren es am 22. April 2005, wenn, ja wenn der Zeitplan wirklich eingehalten wird.

Mögliche Stolpersteine
Im Beitrittsvertrag, der am 25. April 2005 in Luxemburg unterzeichnet wird, steht zwar der 1. Jänner 2007 als Beginn der EU-Mitgliedschaft, doch so wie mit Rumänien, enthält auch der Vertrag mit Bulgarien eine so genannte Schutzklausel, die eine Verschiebung um ein Jahr möglich macht, falls Bulgarien mit der Erfüllung von Beitrittskriterien in Verzug gerät.

Dabei gibt es zwischen den beiden Ländern noch einen feinen Unterschied: Während bei Rumänien für eine Verschiebung schon eine qualifizierte Mehrheit genügen würde, könnte der Beitritt Bulgariens nur einstimmig durch die 25 Mitgliedsländer aufgeschoben werden. Dennoch macht man sich auch in Sofia Sorgen, dass eine politische Krise in Brüssel, etwa nach der Ablehnung der EU-Verfassung in einem Land, die Erweiterungsrunde verzögern könnte.

Die sozialistische Parlaments-Abgeordnete Irina Bokova ist eine führende Europa-Politikerin des Landes, bekennt, "Ich will nicht sagen, dass wir selbst keine Probleme hätten, wir sind in einem schwierigen Übergangsprozess. Aber nennen Sie mir bitte ein mittel-ost-europäisches Land, das solche Probleme nicht hätte. In Ungarn, Tschechien und anderen Staaten ist es genau so."

Zweierlei Maß?
Im ihrem Bericht zum Beitrittsvertrag hat die Europäische Union zwar die wirtschaftlichen Fortschritte in Bulgarien gewürdigt, aber gleichzeitig noch Fortschritte in einigen wichtigen Bereichen eingefordert, etwa im Justizsystem, oder bei der Bekämpfung von Korruption und Menschenhandel.

Die Oppositions-Abgeordnete Bokova meint, dass Bulgarien bei den Beitrittsverhandlungen strenger behandelt wurde als die zehn neuen Mitglieder der letzten Runde: "Wir wurden Opfer anderer Ereignisse und Fehlleistungen, für die wir selbst nichts können, wie den Krieg in Jugoslawien. Manche der heutigen Probleme, wie die organisierte Kriminalität, kommen nicht einfach aus dem Blauen, sondern das Embargo und andere Entwicklungen um das ehemalige Jugoslawien sind mit verantwortlich für Schmuggel und organisierte Gruppen, die heute Probleme machen."

Auch die EU-Unterstützungszahlungen für die bulgarische Wirtschaft würden nun drei Jahre später fließen, Bulgarien erhält auch niedrigere Exportquoten für Landwirtschaftsprodukte als die 2004 beigetretenen Mitglieder, und habe strengere Auflagen für das Kernkraftwerk Kosloduj, als etwa Litauen für das Atomkraftwerk Ignalina, das sicherheits-technisch vergleichbar sei, beklagt Irina Bokova.

Neue Identität
Bei den meisten für einen EU-Beitritt notwendigen Gesetzesänderungen im Parlament sind sich Regierung und Opposition übrigens weitgehend einig, alle großen politischen Parteien ziehen in Bulgarien an einem Strang. Auch die öffentliche Meinung bekennt sich mit überwältigender Mehrheit zu dem Beitrittsprozess, für viele Bulgaren sei dies eine Gelegenheit, das ungeliebte Balkan-Image los zu werden, sagt dazu die Meinungsforscherin Boriana Dimitrova vom abhängigen Institut "Alpha".

Ihr Institut sieht ungefähr 40 Prozent Optimisten in der Bevölkerung und 30 bis 35 Prozent, die sich klar als Verlierer sehen. Trotzdem liegt die Zustimmung zur EU deutlich höher: bei 70 bis 76 Prozent. Denn: Viele, die sich als Verlierer sehen, haben zumindest die Hoffnung, dass es in der EU ihren Kindern einmal besser gehen wird, auch, dass die Verwaltung in Bulgarien besser funktionieren wird und, dass Korruption und Kriminalität abnehmen werden.

Vorbild und Herausforderung
Heute gilt Bulgarien als eine wirtschaftliche und politische Erfolgsstory, die vor 15 Jahren, beim Zusammenbruch des kommunistischen Systems, kaum jemand vorherzusagen wagte. So sehen die Länder des ehemaligen Jugoslawien nun in Bulgarien ein Vorbild für ihren eigenen EU-Annäherungsprozess.

Die Leiterin des Informations-Zentrums der Europäischen Kommission in Sofia, die Universitäts-Professorin Ingrid Shikova, warnt allerdings vor übertriebenen Erwartungen: "Natürlich wird auch Geld aus den Struktur-Fonds fließen, aber in der Europäischen Union geht es nicht um materielle Zuwendungen, sondern um Chancen. Wenn es nicht gelingt, gute Projekte vorzubereiten, werden wir auch das Geld aus den Strukturfonds nicht bekommen. Die Leute müssen also verstehen, dass der Erfolg der Mitgliedschaft Bulgariens in der EU in unseren eigenen Händen liegt".

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