Hitzige Kälte
Per un Satellite
Das "donaufestival" will ab kommendem Wochenende zu neuen Programmufern aufbrechen und sich verstärkt der avantgardistischeren Popmusik widmen. Beat Furrers Klavierkomposition "Phasma" wird in Graz aufgeführt, so wie Bruno Madernas Satellitenkomposition.
8. April 2017, 21:58
Die utopisch schöne Weite, doch von klirrender Kälte geprägt: Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind das wunderbare Metaphern für aktuelle Kunst und Musik. Dieses Wochenende startet das Donaufestival mit einem künstlerischen Frontalangriff zur Erhitzung ebendieser Kälte, während in Graz zu Klaviermusik geronnene Energie präsentiert wird und wir wieder an Bruno Madernas Satelliten denken dürfen
Serenata per un Satellite
Es muss ein magisch irritierender Moment mitzuerleben gewesen sein, als 1908 in Wien bei der Uraufführung eines Streichquartetts, während die Sängerin Stefan Georges Zeilen "Ich fühle luft von anderem planeten
vorträgt, die Musik und damit der Komponist erstmals ganz die Tonalität hinter sich lässt, und Arnold Schönberg damit den Abschied vom abendländischen Konsens der Harmonik vollzieht, der im Kern seit vierhundert Jahren gegolten hatte. Die Luft von anderem Planeten fungiert bis heute als die verbale Entsprechung dieses Aufbruchs und aus zwei musikalisch gänzlich anderen, aber ebenfalls mit dem Weltraum spielenden Anlässen erinnern wir daran.
Der italienische Komponist Bruno Maderna widmete 1969 eine Komposition Umberto Montalenti und dieser war damals der Direktor des European Space Operation Center in Darmstadt. Die Komposition beginnt mit einem hohen, nervösen, energiegeladenen Flirren, das sich verdichtet und in eine Art weites Feld mündet, das wie freie Improvisation klingt, aber eine Art lose gelenkte Komposition ist.
Und dieser dramaturgische Beginn hat einen Grund, den der Titel der Komposition auch umstandslos mitteilt: "Serenata per un Satellite". Uraufgeführt wurde dieses Stück am 1. Oktober 1969 in Darmstadt, das war jener Abend, an dem auch der Start des dort entwickelten Satelliten ERSO I B Boreas stattfand. Welch inszenierte Koinzidenz von künstlerisch-wissenschaftlichem Zukunftsglauben, es klingt fast wie im Märchen, "als das Wünschen noch geholfen hat".
(Vinyl-)Schallplatten als retro-futuristische Objekte, das ist ganz die Welt von Kalle Laar, Klangkünstler und Musiker zwischen Elektronik und Djism, auch wenn der Heroismus der 70er Jahre einem semi-ironischen Dandyismus gewichen ist. "Nächte der verlorenen Musik" veranstaltet er und möchte doch in die Zukunft damit.
In Graz gibt es bei open music nun einen Abend mit dem Titel "science & science fiction" und die Ankündigung klingt ganz nach einer aktualisierten Satellitenserenade: "unser beitrag zum einstein-jahr: eine klangraumfahrt mit dem soundmuseum-mothership. von tönenden wissenschaftlern zu blubbernden satelliten, echte kosmonaten-konversation und falsche ddr-raumschiffkapitäne im staub der sterne, mit sun ra und funkadelic auf planeten-tour. bernard hermann & bebe barron begleiten wernher von braun und uns auf die große fahrt. space is the place!"
Phasma
In Lexika zu blättern ist immer wieder schön und auf der Suche nach Wörtern wie Phasma ganz besonders. Griechisch-lateinisch gerät man da also in die Welt der Geister und Gespenster, des Spuks und der Phantome. Naturwissenmschaftlich sind es eher insektiode, prosaische Monster, die so heißen, die Gespensterschrecken und Stabheuschrecken.
Morgen Abend ist bei den Minoriten in Graz ein Klavierstück zu hören, das diesen auf so Ephemeres wie Irritierendes deutenden Titel trägt, ein neues Stück von Beat Furrer.
Im Konzert von Hsin-Huei Huang morgen Abend wird es kombiniert mit dem ebenfalls virtuosen und in Grenzbereichen agierenden Klavierstück "Peter Parker von Bernhard Gander, das kürzlich - und ebenfalls äußerst erfolgreich - im RadioKulturhaus in Wien uraufgeführt worden war. Und dazwischen erklingt das wunderbare, ruhige "Palais de Mari von Morton Feldman, die andere Seite derselben Medaille, wenn man so will, in Töne geronnene Energie, mal in Zeitlupe, mal in Fast Forward.
Donau-Navigatoren
Das "donaufestival" will unter der neuen Leitung von Thomas Zierhofer zu gänzlich neuen (Donau-Pop-)Ufern aufbrechen und die Promotionsdiktion auf der Webpage greift stabreimend ins Volle: "Mit einem Donnerschlag wird am kommenden Donnerstag das neue "donaufestival" in Krems eröffnet. Kein Stein wird mehr am anderen bleiben, wenn das Festival seine Kampfzonen erweitert. Da gab es doch mal einen Popbeitrag zur deutschen Kulturgeschichte, "Besuchen Sie Europa, solange es noch steht und das müsste man hier wohl mit gleicher Ernsthaftigkeit entgegenhalten.
Oder wir wagen ein wildes kulturelles Bremsmanöver über "die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden", wie Heinrich von Kleist 1805 notierte, und glücklicherweise gibt uns auch dazu das "donaufestival" Anlass: "über die allmähliche verfertigung der gebäude beim hören heißt eine klanginstallative und zugleich live bespielte Arbeit von Josef Reiter in der Minoritenkirche Krems und hinter diesem titelgewordenem Konzept verbirgt sich eine Art ästhetisch-musikalische Raumvermessung, ein Übertragen von Proportionen in Klang, ein allmähliches Entstehen von Musik aus räumlichen Gegebenheiten, um das schöne Titelparadox von Josef Reiter zurück auf die Füße zu stellen. Kleist selbst stellte sich das Allmähliche ganz konkret vor:
Ich mische unartikulierte Töne ein, ziehe die Verbindungswörter in die Länge, gebrauche wohl eine Apposition, wo sie nicht nötig wäre, und bediene mich anderer, die Rede ausdehnender, Kunstgriffe, zur Fabrikation meiner Idee auf der Werkstätte der Vernunft, die gehörige Zeit zu gewinnen.
Zeit gewinnen sollte man am kommenden Wochenende für Krems und hier sind Tipps dazu, die sich ganz bewusst weniger auf popkulturelle Bonbons, als auf die sperrigeren Möbel konzentriert: Das Ensemble Zeitkratzer spielt zwei Konzerte, eines mit Cage, Tenney, Paik Arrangements, das andere eine Exkursion, eine Art Guided Tour in die Noise-Welt mit Stücken von Merzbow aka Masami Akita, Zbigniew Karkowski, sowie Lou Reeds Metal Machine Music, ebenfalls arrangiert für das Instrumentalensemble der Zeitkratzer.
Und zum Abschluss des ersten "donaufestival"-Wochenendes wird der renommierte Komponist, Klang-, und Installationskünstler Alvin Curran seine architektonische Symphonie "Beams" in Krems-Stein uraufführen. Die Straßen und Plätze werden Schauplatz eines musikalischen Theaters, das seinen Kern im Klangraum Krems, Minoritenkirche hat. Neben den Musikern von Zeitkratzer und Alvin Curran selbst werden ein Chor und Musiker der Region Mitwirkende der Klang-Aktion sein.
CD-Tipp
Bruno Maderna, "zeitkratzer, noise\... lärm", artsmusic 47692-2
Hör-Tipp
"Zeit-Ton", Mittwoch, 20. April 2005, 23:05 Uhr
Veranstaltungs-Tipps
Kalle Laar, "science & science fiction", Mittwoch, 27. April 2005, 20:00 Uhr, Palais Thienfeld Graz
Beat Furrer, Bernhard Gander, Morton Feldman mit Hsin-Huei Huang, Klavier, Donnerstag, 21. April 2005, 20:00 Uhr, Minoritensaal Graz
Im Rahmen des "donaufestivals" finden folgende Veranstaltungen statt:
Josef Reiter, "über die allmähliche verfertigung der gebäude beim hören IV - Eröffnung der Soundinstallation", Freitag, 22. April 2005, Minoritenkirche Krems
John Cage, Nam June Paik, Reinhold Friedl, "Zeitkratzer 1", Freitag, 22. April 2005, 18:00 Uhr, Minoritenkirche Krems
Merzbow aka Masami Akita, Zbigniew Karkowski, Merzbow aka Masami Akita, Lou Reed, "Zeitkratzer 2", Samstag, 23. April 2005, 21:00 Uhr, Halle 1
Alvin Curran, "Beams", Sonntag, 24. April 2005, 18:00 Uhr, Krems-Stein
Links
donaufestival - Zeitkratzer
donaufestival