Achtung, Kamera!
Schlauch im Bauch
Kaum 40 und schon bieten einem Jugendliche in der Straßenbahn einen Sitzplatz an und der eigene Sohn meint kahle Stellen auf Papas Kopf zu entdecken. Nicht zu vergessen, die vielen Vorsorgeuntersuchungen, die neue Einblicke in den eigenen Körper gewähren.
8. April 2017, 21:58
Dass Telefonieren am Steuer gefährlich ist, das wissen wir. Aber auch in öffentlichen Verkehrsmitteln kann der Gebrauch von Mobiltelefonen zu verzerrter Wahrnehmung der Wirklichkeit führen. Eine telefonierende Halbwüchsige hat mir unlängst nämlich ihren Sitzplatz angeboten in der Straßenbahn. Mir, der ich vermutlich zu den selben Rockkonzerten gehe wie sie.
Gut, in der Straßenbahn war ich in Begleitung meines kleinen Sohnes (der sich über den Sitzplatz in der Nähe des zum Spielen bestens geeigneten orangen Kinderwagenbefestigungsgurts sehr gefreut hat), und so wird der weibliche Teenager die Platzfreigabe wohl der ganz allgemein gehaltenen Aufforderung schulden, Sitzplätze doch "Personen mit Kindern" zu überlassen.
Obwohl es mich dann doch leicht nachdenklich stimmte, meinte mein Sohn, als ich vor ihm niederkniete, um meine Schuhbänder zu schnüren und er meines Hinterkopfes von oben ansichtig wurde, dass sein Vater da auf dem Kopf "schon wie ein Opa" aussehe. Was ihm eine Aufklärung über begrenzt auftretenden kreisrunden Haarausfall einbrachte.
Dass 40 eigentlich die neuen 30 sind, altersmäßig, das hob ich mir dann doch auf, ihm zu erklären, bis er diesen Zahlenraum in der Schule betreten haben wird. Ärzte halten von solchen Relativierungen, wie sie in Männerzeitschriften gerne verbreitet werden, ja nicht so viel, da bleibt Zahl gleich Zahl, 40 also 40. Und ab 40 sollte man als Mann sich doch die eine oder andere Vorsorgeuntersuchung gönnen. Womit die Damen und Herren in Weiß nicht nur eine Überprüfung des Hörvermögens meinen (Sie wissen schon, die Rockkonzerte), sondern auch gerne mal einen Blick in den Darm werfen würden.
Dort sollte nämlich alles glatt aussehen, und von Polypen keine Spur sein. Ja, Polypen kann man nicht nur in der Nase haben und ab 40 also sollte man sich alle paar Jahre das Vergnügen einer Mastdarmspiegelung gönnen. Und ich kann Ihnen sagen, es ist tatsächlich eines. Müsli und Linsen sollte man ein paar Tage vor der Erkundung durch das Endoskop meiden, die schwer verdaulichen Körndl-Hüllen könnten beim Ausspähen der innersten Windungen einen Strich durch die Rechnung machen. Wird also gemacht, man will ja nicht eine Mattscheibe produzieren und außerdem sorgt ein Abführmittel für vollkommene Bewegungsfreiheit der Kamera.
Womit wir beim Vergnügen wären. Man darf nämlich selbst mitschauen. In Farbe. Und es schaut dann so aus wie im 60er-Jahre-Film "Die phantastische Reise ins Innere des Körpers", nur eben in echt. Und es sind die eigenen Gedärme, die man solchermaßen und live das erste Mal am Bildschirm erblickt und nicht Pappmaché-Kulissen. Angeblich verfällt man einer retrograden Amnesie, zumindest bekommt man vor der Untersuchung ein Mittelchen gespritzt, das einen die Strapazen der Behandlung vergessen lassen soll.
Hat bei mir offenbar bestens gewirkt, am liebsten hätte ich die Reise durch meinen im übrigen super glatten Darm mitgenommen. Einem gemütlichen Videoabend stünde dann nichts mehr im Wege.
Buch-Tipp
Windsor Chorlton, "Kunstwerk Körper. Reise ins Innere des Menschen", aus dem Englischen von Heike Brühl, Frederking & Thaler Verlag, ISBN 3894056495
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