Wer war Albert Speer wirklich?

Die unbeantwortbaren Fragen

Joachim Fest gewährt in diesem Band Einblicke in die Notizbücher seiner Interviews mit Albert Speer aus den 60er und 70er Jahren, ein interessantes Dokument, das die Notwendigkeit quellenkritischen Umgangs mit Memoirenliteratur eindrucksvoll vor Augen führt.

Im Dezember 1930 besucht der junge, aus großbürgerlichen Verhältnissen stammende Architekt Albert Speer eine Parteiveranstaltung der NSDAP. Er erlebt Hitler als Redner - und verfällt der Suggestionskraft des braunen Demagogen. Adolf Hitler habe ihn von Anfang an fasziniert, erklärte Speer in einem seiner letzten Interviews im Jahr 1980.

1966, nach Speers Entlassung aus dem Militärgefängnis Spandau, wendet sich der Verleger Wolf Jobst Siedler an den Journalisten Joachim Fest. Er möge Hitlers ehemaligem Leibarchitekten bei der Abfassung seiner Lebenserinnerungen zur Hand gehen, bittet Siedler den ehemaligen Chefredakteur des "Norddeutschen Rundfunks". Fest sagt zu und trifft mehrmals mit Albert Speer zusammen.

"Sachbestimmt, nüchtern, ein Manager"

Speers Memoiren erscheinen Ende der 60er Jahre und werden zum internationalen Bestseller. Ende der 90er Jahre veröffentlicht Joachim Fest seine große Speer-Biografie, jetzt, sechs Jahre später, reicht der 79-Jährige einen Band mit Parerga und Paralipomena nach. In diesem Band erfährt man nichts revolutionär Neues über den Hitler-gläubigen Architekten, der sich in den letzten Kriegsmonaten von seinem Idol abwendet und als Rüstungsminister Widerstand leistet gegen die von Hitler befohlene Strategie der verbrannten Erde, Fest gewährt aber Einblicke in seine Notizbücher aus den 60er und 70er Jahren.

Bei Siedler in Berlin. Erstes Urteil über Speer. Mit Siedler einig darüber: Speer ist sachbestimmt, nüchtern, ein Manager. Zugleich auf unendlich altmodische Weise "deutsch", das heißt: idealistisch, romantisch, auch etwas verblasen. Gefühl nur als "Naturgefühl". Siedler und ich nannten es die auffallendste Erfahrung Speers, dass er zeitlebens "Everybods's darling" war: bei seinem Architektur-Lehrer Heinrich Tessenow, bei Hitler, bei den Richtern in Nürnberg, beim Wachpersonal im Spandauer Gefängnis und wo sonst noch. Nur bei seinen Eltern nicht, deren Kühle ihm sichtlich noch im Nachhinein zu schaffen macht.

Die liebenswürdige Seite Hitlers

Wer war Albert Speer wirklich? Über diese Frage ist viel gerätselt worden. Für Joachim Fest war Speer ein "orientierungsschwacher Überläufer", schreibt er in seinem Buch, ein "bornierter Idealist, der sich jeder überlegenen Kraft andiente". Ein schwer durchschaubarer Mann, kultiviert und zugleich völlig emotionslos, ein Rätsel letztlich, aber auch: eine erstklassige historische Quelle:

Speer äußert: Was er als Hitlers "Magie" bezeichne, habe entscheidend mit seinen liebenswürdigen Seiten des Diktators zu tun gehabt, mit dem Charme und der entspannten Herzlichkeit, die Hitler zumindest während der 30er Jahre im Umgang mit Architekten, Schauspielern, Sängern und zumal mit Filmdiven zeigte. "Damit zog er mich, vor allem nach gelegentlichen Meinungsverschiedenheiten, immer wieder zu sich herüber", erklärte Speer. Insofern herrsche heute ein gänzlich verzerrtes Hitlerbild. Es stamme weitgehend aus den letzten Kriegsjahren und stelle ihn als dämonisches Ungeheuer dar. Dabei hätten seine "einnehmenden Züge" lange Zeit im Vordergrund gestanden, der Wiener Lack gewissermaßen, unter dem Hitler seine menschenverachtenden Züge verbarg.

Das Böse hat eine ungeheure Macht

Letztlich wirft die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus immer wieder die Frage aller Fragen auf, schreibt Joachim Fest in seinem Buch: Wie müssen die Vorkehrungen beschaffen sein, die verhindern, dass ein ähnlicher Rückfall in die Barbarei noch einmal möglich wird. Nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, so Fest, stellt sich sogar die Frage, ob es verlässliche Vorkehrungen überhaupt geben kann.

Fest meint dazu: "Von Sigmund Freud stammt das Wort: Unter dem dünnen Firnis des zivilisatorischen Wesens steckt in jedem Menschen eine ganze Rotte von Mördern. Das totalitäre 20. Jahrhundert hat uns belehrt, dass das Böse eine ungeheure Macht über die Menschen hat, vor allem das rechenschaftslos erlaubte Böse, das verlangte Böse."

Buch-Tipp
Joachim Fest, "Die unbeantwortbaren Fragen - Gespräche mit Albert Speer", Rowohlt, ISBN 3498021141