Frithjof Bergmann im Gespräch mit Michael Kerbler
Wider die Arbeit als "milde Krankheit"
"New Work", meint der Professor an der Universität von Michigan, sei das Konzept, das aus der Krise der Arbeit führt. "Es könnte eine viel fröhlichere Kultur sein, wenn man die Möglichkeit hat, von Zeit zu Zeit auch etwas zu tun, das uns jubeln macht."
8. April 2017, 21:58
Frithjof Bergmann über Arbeit und Arbeitsplatz
Michael Kerbler: Sie haben ein neues System entwickelt, dass Arbeit herausgelöst werden muss aus dem alten Bild "Arbeit ist gleich Arbeitsplatz". Dieses neue Bild steht auf drei Beinen: Zu einem Teil auf Erwerbsarbeit. Zum zweiten Teil auf einem - ich nenn es jetzt mal Eigenarbeit, im Englischen nennen Sie es "High Tech Self Providing Work". Und als Drittes das, was die Menschen wirklich, wirklich gerne tun - im Englischen "Calling", was man im Deutschen, unscharf übersetzt, "Berufung" nennt.
Frithjof Bergmann: Ich hoffe, Sie verzeihen mir, wenn ich das Bild von den drei Beinen etwas verändere. Das viel bessere Bild ist das von Schichten. Aufeinander gelegte Schichten. Wie bislang ist eine Schichte die Arbeitsplatzarbeit, die "Jobarbeit". Dazu werden zwei zusätzliche Schichten entwickelt. Um ein einfaches Bild zu benutzen, stelle man sich ein Sandwich umgekehrt vor: Also in der Mitte ist ein Brot, unter Umständen nicht so schrecklich appetitlich, es könnte auch alt und trocken sein. Das ist die Jobarbeit. Oben drauf kommt das Leckere, das könnte bei manchen Leuten die Salami sein, bei anderen irgend was anderes. Und unten drunter ist unter Umständen das Nahrhafteste.
Also stellen Sie sich ein Sandwich vor, wo unten Gesundes ist, Tomaten oder Salat. Dann das Brot als eine dünne Schicht. Und darauf allen möglichen Käse und Oliven und noch schöne Dinge.
Ein anderes Bild. Aus drei Schichten - wenn es die richtigen Schichten sind - entsteht etwas, das vorher nur Blei war, z.B. eine Batterie. Dieses Dreischichtige, dass man nicht nur monoton eine Art von Arbeit tut, sondern dass man sich zum Teil selber ernährt, selber versorgt - wie das übrigens die Bauern schon immer gemacht haben - , dass man einen Teil Jobarbeit macht, aber eben auch das Recht hat, ein Anrecht darauf, zumindest in Abständen und in einem größeren Maße etwas zu tun, das man mit absoluter Leidenschaft tun will. Das würde eine Wirtschaft erzeugen, die unvergleichlich wettbewerbsfähiger, energischer, erfinderischer, weniger lahm wäre. Also das, was man immer mit dem Wort Aufschwung bezeichnet, könnte passieren, wenn man eine dreifaltige Arbeit hätte anstatt der monotonen Schicht von trockenem Brot.
Das Bild gefällt mir wunderbar, aber ich kann es mir nicht leisten. Ich habe Fixkosten, ich habe so und so viel Ausgaben im Monat, ich muss meine Kreditraten zurück zahlen. Ich muss die Ausbildung meiner Kinder finanzieren. Ich möchte im Jahr zwei-, dreimal auf Urlaub fahren. Mit ihrem Bild kann ich mir das alles nicht mehr leisten. Wollen Sie mir jetzt die Neue Bescheidenheit einreden?
Also schon ganz und ganz und ganz und gar nicht. Ganz im Gegenteil. Es dreht sich nicht darum, den Gürtel enger zu schnüren. Man fragt mich ja sehr oft, wie könnte denn diese Kultur aussehen? Wenn wir jetzt von der alten Arbeit langsam, schrittweise, vorsichtig den Übergang finden zu dem neuen System der 3-Schichten-Arbeit, dann könnte die Kultur humaner sein. Also die Armut würde abgeschafft werden. Eben weil die Armen wenigstens die Möglichkeit haben, sich selbst zu versorgen, aber auf einem sehr hohen Niveau - was wir übrigens noch beschreiben müssen.
Es könnte aber auch eine bedeutend intelligentere Kultur sein in dem Sinn, dass Vieles von der Verschwendung - nicht nur an Ressourcen sondern auch an menschlicher Begabung - abgeschafft würde. Aber jetzt kommt das für mich wichtige Wort in diesem Zusammenhang: das würde eine viel fröhlichere Kultur erzeugen.
Aber jetzt zu Ihrem "Wie kann ich mir das leisten?" Ich würde sagen sehr, sehr gut. Eben jene Automatisierung, die Arbeitsplätze abschafft, hat eine Kehrseite, die man nutzen kann. Ich kann diese Maschinen benutzen in einem - nennen wir es Herstellungscafé, also etwas ganz anderes als eine Fabrik. Ein Herstellungscafé, in dem ganz raffinierte Maschinen stehen, die es jetzt schon gibt. Mit denen - weil wir beide Brillenträger sind - kann ich mir z.B. meine eigenen Brillen machen. Ich kann mir meine eigenen Schuhe machen, meine eigenen Möbel, ich kann mir - und daran arbeiten wir ganz besonders in Südafrika - mein eigenen Haus bauen. Ich kann mir aber auch meinen eigenen Fernseher selber zusammensetzen. Das ist es, was gerade jetzt vor der Tür steht. Das nennt man dezentrale Herstellung.
Das ist die angesprochene "High Tech Self Providing", also Dinge des täglichen Bedarfs mit Hilfe von Hochtechnologie herzustellen, mit Hilfe von Computern. Sie meinen, dass ich auch die Finanzkraft habe, mir solche Geräte zu kaufen?
Nein, nein! Natürlich nicht! Aber darum dreht es sich schon, und deshalb ist ja Politik ein Thema. Was sollte die Politik denn tun anstatt dem, was sie jetzt tut. Das ist eigentlich mein Hauptthema. Was mich am meisten erregt, ist die Borniertheit, diese enormen Scheuklappen, dass die Politik immer und immer und immer das Selbe macht. Etwas, das unvergleichlich weniger kosten würde als all die Subventionen und Steuerermäßigungen, um Betriebe hierher zu locken oder zu halten. Unvergleichlich weniger würde es kosten, in allen möglichen Nachbarschaften Dinge einzurichten. Nach dem Muster von Copy-Shops etwa. Ich hab das Wort Café gebraucht, wie es Internet-Cafés gibt. Und ich will jetzt Internet-Cafés mit den neueren, besseren Computern, die auch Dinge herstellen.
Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 20. Juli 2006, 21:01 Uhr
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Buch-Tipps
Frithjof Bergmann, "Neue Arbeit, Neue Kultur", Arbor Verlag, ISBN 392419596X
Wolfgang Engler, "Bürger, ohne Arbeit - für eine radikale Neugestaltung der Gesellschaft", Aufbau-Verlag, ISBN 3351025904
Hans Weiss und Ernst Schmiederer, "Asoziale Marktwirtschaft", Verlag Kiepenheuer und Witsch, ISBN 346203412X
Jeremy Rifkin, "Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft - neue Konzepte für das 21.Jahrhundert", Campus Verlag, ISBN 3593374110
CD-Tipp
"Im Gespräch Vol. 7", ORF-CD, erhältlich im ORF Shop
Links
Hörbuch - Arbeit, die wir wirklich, wirklich wollen
Neue Arbeit - Neue Kultur e.V.