Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus
Hitlers Volksstaat
Götz Aly hat bereits Bücher über die öffentliche Meinung und die Sozialpolitik im Nationalsozialismus verfasst und hat nun einen weiteren umfassenden Versuch unternommen, Licht in das Dunkel der NS-Raubpolitik unternommen.
8. April 2017, 21:58
Den Restitutionsansprüchen der Opfer des Dritten Reichs wurde erst in den letzten Jahren Rechnung getragen. Bei der Suche nach den enteigneten Vermögenswerten war ersichtlich, dass hier ein scheinlegal getarnter Raubzug gigantischen Ausmaßes quer durch Europa vor sich gegangen war, dessen Spuren gleichzeitig möglichst verwischt werden sollten.
Trugbild Freiheit und Abenteuer
Für Götz Aly ist nicht der Antisemitismus oder Rassenwahn für die Zustimmung zum NS-Regime entscheidend, sondern eine Aufbruchsstimmung im Zeichen der Moderne, die in einer Art Revolution von rechts einen Gutteil der Bevölkerung erfasste.
Für die Mehrzahl der jungen Deutschen bedeutete der Nationalsozialismus nicht Diktatur, Redeverbot und Unterdrückung, sondern Freiheit und Abenteuer. Sie sahen darin eine Verlängerung der Jugendbewegung, ein körperliches und geistiges Anti-aging-Programm. Die tonangebenden 20- bis 30-Jährigen erhoben sich 1935 verächtlich über die Kleingeister. Sie sahen sich als moderne, antiindividualistische Tatmenschen. Sie belächelten des "Spießers Sorgen - denn uns gehört das große Morgen".
Versprechen wollen finanziert sein
Diese Utopie für jedermann, die Idee eines sozial-romantischen Sozialismus bildete den kollektiven Zustimmungskitt zur NS-Diktatur.
Die NS-Führung vermittelte einen ersten Vorgeschmack auf die Volksmotorisierung: Sie führte den bis dahin fast unbekannten Begriff Urlaub ein, verdoppelte die Zahl der freien Tage und begann, den heute vertrauten Massentourismus zu entwickeln. (...) Die Grundlagen der EU-Agrarordnung, das Ehegattensplitting, die Straßenverkehrsordnung, die obligatorische Haftpflichtversicherung für Autos, das Kindergeld, die Steuerklassen oder auch die Grundlagen des Naturschutzes stammen aus jenen Jahren.
Die Versprechungen auf einen klassenbewussten Sozialismus zum Vorteil der kleinen Leute mussten finanziert werden. Zum überwiegenden Teil ging dies zu Lasten der so genannten Volksfremden, schließlich jedoch später auch zu Lasten der mittels sozialer Wohltaten Bestochenen selbst.
"Trödelmarkt" des Reiches
So lautete die Devise für "Hitlers zufriedene Räuber", wie Aly ein Kapitel seines Buches nennt, die besetzten und unterworfenen Gebiete auszuplündern und sich am "Trödelmarkt des Reiches" in Form unbürokratischer Selbsthilfe zu bedienen. Mit Hilfe einer teuflischen Währungspolitik wurden die Währungen in den besetzten Gebieten ruiniert, Inflationen herbeigeführt, die Sparguthaben der Privatsparer in Schatzanleihen des Reiches umgewandelt und Privateigentum nach Deutschland abgeschleppt, wo es nur ging.
Damit die Odyssee der geraubten Güter nicht so leicht nachvollziehbar war, wurden Beutestücke auf lokalen Märkten verkauft, der Erlös in andere Währungen umgetauscht und daraus etwa der Sold von Wehrmachtssoldaten in ganz anderen Regionen Europas bezahlt.
Interessante Diskussionsgrundlage
Heute kann annähernd Bilanz gezogen werden: Mindestens zwei Drittel der deutschen Kriegseinnahmen wurden aus ausländischen und "fremdrassischen" Ressourcen aufgebracht, das restliche Drittel wurde zwischen den sozialen Schichten so aufgeteilt, dass ein Drittel der Steuerpflichtigen zwei Drittel der Kriegslasten trugen, während die überwiegende Mehrheit nur für einen kleinen Rest aufkam. So konnte die Idee vom "nationalen Sozialismus" aufrechterhalten und der deutschen Bevölkerung verkauft werden.
Durchschnittliche Arbeiterfamilien hatten keine direkten Kriegssteuern zu bezahlen, sodass letztlich - das ist eine der neuen Thesen des Buches - die übergroße, damals noch ziemlich knapp bemittelte Mehrheit der Deutschen im Krieg über mehr Geld als im letzten Friedensjahr verfügte.
Obwohl eine lückenlose Systematik des NS-Raubzuges auch in diesem Buch nicht geleistet werden kann, da viele Dokumente mit Absicht vernichtet wurden, darf die Diskussion um dieses Buch, das eine mutige Neudeutung darstellt, mit Spannung erwartet werden.
Mehr zum Themenschwerpunkt "Österreich 2005" in oe1.ORF.at
Buch-Tipp
Götz Aly, "Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus", S. Fischer Verlag, ISBN 3100004205