Ruhende und bewegte Körper

Inertial- und Bezugsysteme

Im "Jahr der Physik 2005" stehen die epochalen Theorien des Physikers Albert Einstein im Mittelpunkt vieler Ö1 Sendungen. Hier die Erklärung der wichtigsten Begriffe seiner wissenschaftlichen Arbeiten zum Nachlesen.

Ein Inertialsystem ist ein physikalisches Bezugssystem, in dem sich ein Körper frei und ungehindert auf einer geradlinigen Bahn und mit konstanter Geschwindigkeit bewegt.

In einem Inertialsystem (von lateinischen "inertia" für Trägheit) gilt Galileis Trägheitssatz, den Newton später zum ersten Axiom in seiner Mechanik machte: Ein Körper bleibt in Ruhe oder bewegt sich geradlinig und gleichförmig, wenn keine resultierende äußere Kraft auf ihn wirkt. In einem solchen Inertialsystem werden alle physikalischen Prozesse durch dieselben Gleichungen beschrieben.

Ruhende und bewegte Körper

Zu entscheiden, ob ein Körper ruht oder sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, ist ohne Angabe eines Bezugssystem unmöglich, wie das folgende Gedankenexperiment zeigt: Man erwacht in einem Auto mit perfekten Stoßdämpfern und undurchsichtigen Fensterscheiben, das mit konstantem Tempo auf einem kerzengeraden Autobahnabschnitt unterwegs ist. Solange das Auto weder eine Kurve fährt noch beschleunigt, ist es für den Insassen unmöglich festzustellen, ob das Fahrzeug ruht oder in Bewegung ist. Schläfrige Beifahrer, die auf langen Autobahnfahrten kurz ihre Augen schließen und der narkotischen Wirkung des Trägheitsgesetzes erliegen, fühlen instinktiv, wovon hier physikalisch die Rede ist.

Erst wenn der schläfrige Beifahrer seine Augen öffnet oder die undurchsichtigen Fensterscheiben herunterkurbelt werden, kann die Geschwindigkeit des Autos in Bezug auf die ruhende Erde festgestellt werden. Geschwindigkeit ist folglich keine absolute Größe, sie kann immer nur relativ zu einem Bezugssystem festgestellt werden.

Eigentlich gibt es gar keine Inertialsysteme

Üblicherweise führt man auf der Erdoberfläche ein System ein, das bezüglich der Erde ruht. Auf dieses ruhende System beziehen wir normalerweise unsere Geschwindigkeitsangaben. Aber diese Ausdrucksweise ist relativ: Ein Fahrgast, der in einem fahrenden Zug sitzt, erscheint seinem Nachbarn in Ruhe, während der Schaffner, der gerade den Gang entlang läuft, sich bewegt - eine vom Bezugssystem abhängige Betrachtungsweise. Denn bezüglich der ruhenden Erdoberfläche, also aus der Perspektive eines Beobachters, an dem der Zug vorbeifährt, bewegen sich sowohl der Fahrgast als auch der Schaffner.

Doch streng genommen gibt es in der Realität gar keine Inertialsysteme, sie sind vielmehr Fantasieprodukte der Physiker, mit denen sich zwar gut rechnen lässt, die aber in reiner Form in der Natur eigentlich nicht existieren. Die Erde bewegt sich einerseits um die Sonne und andererseits in 24 Stunden einmal um die eigene Achse. Ein Koordinatensystem, das mit den Achsen auf der Erdoberfläche festgenagelt wird, wirbelt also, vom Weltraum betrachtet, gehörig herum. Selbst das Sonnensystem ist nur näherungsweise ein Inertialsystem, weil es durch die Gravitation anderer Galaxien beeinflusst wird.

Zu jedem Inertialsystem gibt es unendlich viele Andere

Die Spezielle Relativitätstheorie (SRT) baut ebenso wie Newtons Mechanik auf der Tatsache auf, dass Bezugssysteme, die sich relativ zueinander in Ruhe befinden oder sich gleichmäßig und geradlinig zueinander bewegen, völlig gleichberechtigt sind. Es gibt kein ausgezeichnetes Inertialsystem, da sich nach dem Trägheitsgesetz keine absolute Ruhe oder Bewegung im Universum feststellen lässt.

Bewegen sich zwei Raumschiffe im Weltraum geradlinig und gleichförmig aufeinander zu, werden die Beobachter in beiden Raumschiffen ihr System in Bezug auf das andere zum ruhenden erklären. Auch auf der Erde kann man vergleichbare Situationen erleben, beispielsweise als Reisegast der ÖBB. Man sitzt im haltenden Zug am Bahnhof, schaut auf das Nachbargleis und hat das Gefühl, der Zug bewege sich, während der in Wirklichkeit abfahrende Zug stillzustehen scheint.

Es gibt also zu jedem Inertialsystem unendlich viele verschiedene andere, die sich relativ zum ersten geradlinig und gleichförmig bewegen. Diese Prämisse der SRT gilt nicht nur für mechanische, sondern auch für elektrodynamische Prozesse. Wenn es kein ausgezeichnetes Inertialsystem im Universum gibt, existiert auch keine absolute Geschwindigkeit oder Ruhe darin. Folglich verlieren auch die Begriffe "absolute Zeit" und "absoluter Raum" ihre Bedeutung in der Physik, die Newton in seiner Mechanik postulierte und Einstein im Rahmen seiner SRT verwarf.

Nur Relativgeschwindigkeiten

Der Begriff des Inertialsystems ist eng mit dem Relativitätsprinzip und der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit verbunden, den zwei grundlegenden Prämissen der SRT: Die physikalischen Gesetze haben in allen Inertialsystemen dieselbe Form, alle Inertialsysteme sind gleichberechtigt, daher gibt es kein ausgezeichnetes Inertialsystem.

Jede Geschwindigkeit eines Objektes ist folglich immer nur eine Relativgeschwindigkeit und macht daher nur Sinn, wenn sie in Bezug auf ein Inertialsystem angeben wird. Die (Vakuum-) Lichtgeschwindigkeit c hat in jedem Inertialsystem denselben Wert (c= 299 792.792 km/s), ist also sowohl vom Bewegungszustand der Lichtquelle als auch von jenem des Beobachters unabhängig und eine Naturkonstante und universelle Größe im Universum.