Wodurch werden unsere Entscheidungen bestimmt?

Das Gehirn und seine Freiheit

Willensfreiheit gibt es nicht. Unser bewusstes Erleben ist nur die hauchdünne Spitze eines Eisbergs, der vom Unbewussten getragen wird und das haben wir nicht im Griff. Zu diesem Ergebnis kommen immer mehr Neurowissenschafter in ihren Forschungen.

Zweieinhalb Jahrtausende lang haben sich Philosophen den Kopf darüber zerbrochen, ob der Mensch in seinen Handlungen frei ist. Jetzt erobern Hirnforscher dieses Feld. Sie legen Daten und Fakten aus Experimenten vor und prompt geraten die Wissenschafter der beiden unterschiedlichen Professionen aneinander.

Der Frankfurter Philosoph Klaus Jürgen Grün will hier vermitteln. Er knüpft an das Vorbild der Frankfurter Schule an: Die Philosophie soll kritisch hinterfragt werden, durch Erkenntnisse aus der Hirnforschung.

Das Unbewusste bestimmt Entscheidungen

Eines steht fest. Wir sind in allen unseren Entscheidungen von unserem Unbewussten bestimmt, auch wenn wir uns völlig frei fühlen. Der Psychologe Thomas Goschke von der Technischen Universität Dresden hat dies in Experimenten zur so genannten unterschwelligen Stimulation eindeutig nachgewiesen.

Wird einer Versuchsperson ganz kurz, ohne dass sie es merkt, ein Reiz dargeboten, so beeinflusst dieser Reiz eindeutig die nachfolgende Entscheidung. Ein Mosaikstein, der Einblick gibt, wie unser Unbewusstes unsere Entscheidungen beeinflusst.

Forschungen der letzten Jahre zeigen deutlich, dass es das "bewusste Ich" nicht gibt, sondern dass viele unbewusste Ichs uns mitbestimmen.

Wodurch fallen Entscheidungen?

Der Kompass für unser Verhalten liegt in evolutionär sehr alten, tief liegenden Strukturen im Gehirn, die auf Überlebensstrategien programmiert sind. Sie haben die für das Denken zuständige Großhirnrinde fest im Griff. Ist etwas gut, oder ist es schlecht für mich? Blitzschnell werden Situationen danach bewertet.

Alles was wir tun, wollen wir vernünftig erklären. Für alles suchen wir eine rationale Rechtfertigung. Damit belügen wir uns oft selbst. Darauf verweist Gerhard Roth. Entscheidungen fallen nicht aus rein vernünftigen Gründen, sondern aus unbewussten Antrieben. Das lässt sich zum Beispiel bei Kaufentscheidungen eindeutig nachweisen.

Gibt es einen freien Willen?

Die naturwissenschaftliche Diskussion um den Freien Willen hat mit den berühmt gewordenen Experimenten des amerikanischen Physiologen Benjamin Libet vor zwei Jahrzehnten begonnen.

Seine Versuchspersonen mussten einfache Bewegungen ausführen, zum Beispiel eine Hand heben. Dabei wurde ihre Hirnaktivität gemessen, das so genannte Bereitschaftspotential. Sie mussten den Zeitpunkt angeben, an dem sie sich bewusst für die Bewegung entschieden, wo der so genannte "Willensruck" erfolgte.

Das Aufsehen Erregende dabei: Das Bereitschaftspotential war bereits vorhanden, BEVOR die Personen eine Entscheidung getroffen hatten. Das Gehirn legt also eine Handlung fest, bevor sich ein Mensch dafür entscheidet. Das galt vielen Forschern als der erste eindeutige Beweis gegen die Willensfreiheit.

Freier Wille und Strafrecht

Die Frage nach der Willensfreiheit ist brisant, wenn sie mit ethischen Fragen des Strafrechts verknüpft wird. Wenn wir nicht Herr im eigenen Haus sind, sondern Getriebene, fallen dann Begriffe wie Verantwortlichkeit und Schuld? Ist dann erlaubt, was gefällt?

Nein, keineswegs, da sind sich alle einig. Normen muss es geben. Auch Strafe gegen den Verstoß von Normen. Klar müsse aber sein, dass Moral auf gesellschaftlich vereinbarten Normen beruht und nicht naturgegeben ist, sagt Gerhard Roth.

Warum werden Menschen straffällig? Als Ursache für gewalttätiges Verhalten müssen viele Faktoren zusammenkommen. Besonders auffällig ist der Zusammenhang zwischen Aggressivität und einem niedrigen Serotonin-Spiegel.

Viele Gewalttäter sind therapierbar. Untherapierbar sind meist Menschen mit Defiziten im Stirnhirn. Aus dieser Sicht ergibt sich für Gerhard Roth ein Schuldparadoxon: Je schwerer die Straftat und die moralische Schuld nach dem herrschenden Strafrecht und in der öffentlichen Meinung- desto größer ist die psychische Zwangssituation des Täters.

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