Information ist keine Selbstverständlichkeit

Der Menschenversuch - Teil 3

In den vergangenen 15 Jahren sind weltweit ungefähr 4.000 neue Medikamente getestet worden. Die Versuchspersonen melden sich freiwillig und sind über die Versuche vollständig aufgeklärt. Eine Selbstverständlichkeit, möchte man meinen.

Der Fall der Yanomami in Brasilien und Venezuela: ein Volk, das bis in die 60er Jahre am Amazonas - ohne jeden Kontakt nach außen - in einer prähistorischen Kultur lebte. Ein Team von Anthropologen und Medizinern wird beschuldigt, in den 70er Jahren unter dem Deckmantel einer Impfkampagne Menschenversuche durchgeführt zu haben. Die Forscher sollen das Indiovolk gegen Masern mit einem Lebendvirus geimpft haben. Hunderte Yanomami starben.

"Anlass zum Nachdenken bietet auch der Umstand, dass damals Wissenschafter weltweit darum konkurrierten, einen Masernausbruch in einer so genannten "jungfräulichen" Population zu beobachten. Ende der sechziger Jahre gab es außerhalb des Amazonasgebiets keine Population mehr, deren Erwachsene keine Antikörper gegen Masern in sich trugen."
Aus: Patrick Tierney "Verrat am Paradies".

Auf der Suche nach dem Gen für Dominanz

Der Genetiker James Neel wollte die natürliche Selektion in primitiven Gesellschaften studieren. Der Eugeniker war auf der Suche nach dem Gen für Dominanz, dem "Führer-Gen". Diese Missbrauchs-Vorwürfe beziehen sich auf die 70er und 80er Jahre.

"Heute ist das Entnehmen von Speichel und Haarproben für genetische Untersuchungen weit verbreitet. Den Menschen ist oft nicht bewusst, dass ihre Proben für diverse genetische Studien verwendet werden", sagt Elke Mader von der Universität Wien.

Radioaktiv verseucht - für Studienzwecke

James Neel begegnen wir noch einmal. Er war auch an Versuchen beteiligt, bei denen Menschen Plutonium und Uran gespritzt bzw. behinderten Kindern radioaktiv verseuchter Haferschleim gefüttert wurde, um die Wirkung studieren zu können.

Rund 800 Menschen vom Volk der Navajo-Indianer wurden radioaktiv verseucht. Strafgefangene, Behinderte und Schwangere. 1994 hieß es dazu, dass die Versuche nie restlos aufgeklärt werden könnten, weil der Geheimdienst CIA alle Akten vernichtet hatte.

Absichtlich nicht informiert

Die größte amerikanische Arzneimittelkatastrophe ist allerdings Tuskegee, ein Experiment, das über 40 Jahre lang dauerte. Zwischen 1932 und 1972 wurden rund 400 farbige Männer aus der ärmsten Gegend in Alabama, die an Syphilis erkrankt waren, nie über ihre Krankheit informiert und auch nie behandelt.

An ihnen wurden die Symptome der Syphilis, wie Tumore, Blindheit oder Geisteskrankheit beobachtet. Dieses Experiment gilt als das längste nicht-therapeutische Experiment in der Medizingeschichte.

"Informed consent"

Die Einwilligung einer Person in eine medizinische Behandlung oder in ein Experiment nennt man "informed consent". Dieses Recht der Versuchsperson auf Aufklärung wurde mit dem Nürnberger Ärzteprozess 1947 - im Nürnberger Codex - erstmals gefordert.

Bis dahin hieß es: der Arzt weiß, was er dem Patienten zumuten kann. In den USA gab es zehn Jahre später - 1957- die erste höchstrichterliche Entscheidung dazu.

Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendungen der Woche gesammelt jeweils am Donnerstag nach Ende der Live-Ausstrahlung im Download-Bereich herunterladen.

Buch-Tipp
Patrick Tierney, "Verrat am Paradies. Journalisten und Wissenschaftler zerstören das Leben am Amazonas", Piper Verlag 2002, ISBN 3492038573