Tradition ist, was man daraus macht

Tango amore

Tango, Ausdruck viriler Männlichkeit. Sexy, frisch den sehnsüchtigen Fantasien der Männer entsprungen, hält Sivana Deluigi dagegen. Sie verwandelt sich in die femme fatale der Tangoszene, die auch musikalisch alle Traditionalisten vor den Kopf stößt.

Sie ist ein typisches Kind Argentiniens: die Armut und die Hoffnung trieb ihre Großeltern aus Griechenland und der Türkei, aus Frankreich und der Schweiz in die Neue Welt. Silvana kehrte zurück: seit ihrem 24. Lebensjahr lebt sie in Paris. Eigentlich wollte sie nach ihren großen Musicalerfolgen in Buenos Aires bloß ihr vokales und tänzerisches Knowhow verbessern, und dann ging sie aus Neugierde in den legendären Tangoclub "Les Trottoirs de Buenos Aires", traf auf Juan José Mosalini und gehörte von da an zur Tangoszene.

Sehnsucht und Sinnlichkeit

Silvana Deluigi ging mit einer Idee an die alten Lieder heran: sie wollte die Tanguera sein, die Frau, um die sich alle Tangos drehen. Sie wollte sie aus den Phantasien der Männer in eine Frau aus Fleisch und Blut zurückverwandeln, ihr eine Seele einhauchen, von ihren Sehnsüchten und Hoffnungen und Tränen singen. Kurz: sie wollte die weibliche Seite des Tango verkörpern, die andere Seite des Kampfs zwischen Mann und Frau - wobei sie musikalisch auch neue, für die Traditionalisten höchst provokante Wege einschlägt. Wie erfolgreich ihr Konzept ist, zeigen die großen Stars der Szene, die sich darum reißen, mit ihr musizieren zu dürfen, alle, alle, von Pablo Ziegler und Gustavo Beytelman bis Luis di Matteo oder Gaetano Veloso oder Sting.

Und mit Kip Hanrahan, dem musikalischen Katalysator und Perfektionisten aus New York, der schon für Astor Piazzolla produziert hat und der sie für die aufregendste Tangosängerin unserer Zeit hält, verbindet sie das neue Album "Yo!": Absolut gelungen. Wunderbar. Perfekt. Einmal hören reicht bei weitem nicht!

Sie und Er

Wenn "Sie" in ihm surft, dann hört sich das an wie eine Nummer von Gilad Atzmon: hippig, quirlig, verrückt. Mit plötzlichen Breaks ("She surfs in my body - from the bottom of my heart to the tip of my horn and back again..."), um über "sie" nachzudenken. Melodisch, melancholisch, aber nur kurz, dann rast es/sie wieder los.

Aber das ist bloß der 2. Haltepunkt eines ganzen musikalischen Universums, in dem der in London lebende Ex(-il)-Israeli gemeinsam mit seinem Orient House Ensemble ganz spezielle "Ansichten" von der Musik des 20. Jahrhunderts bietet. Vom Jazz. Vom Tango.

Vom Multikulti-Globalisierungs-Zwang. Und von Lili Marleen, die er klezmeri-, arabi- oder sonst wie ver-siert keck-schüchtern (als neuen Soldatenengel?) daher kommen lässt. Und zwischendurch erzählt er, "re-arranging the 20th century", weshalb der Teufel alle guten Melodien hat. Sehr gepflegte JazzTangoKlezmArabian MelancholEmotion!

Baskischer Quetschn-Meister

Sie nennen es Trikitixa, „Teufelsbalg“, und es gehört zur diatonischen Akkordeonfamilie. Es wäre wahrscheinlich längst vergessen, wären da nicht ein paar Volksmusiker gewesen, die diesem Teufelsbalg verfallen sind. Einer von ihnen ist Kepa Junkera, und ihm kommt das Verdienst zu, sein Instrument (auch!) in einen völlig neuen Zusammenhang zu stellen. Tradition ist, was man daraus macht. Und wenn das Alte mit Elektro- oder Eklekto... zusammenpasst, warum nicht? Kepa Junkera & Friends treten samt Trikitixa und was man sonst noch braucht am 5. März um 20:00 Uhr im Wiener Reigen auf.

Karibische Sitar

Man nehme ein indisches Instrument, einen weltoffenen Geist, Lust zum Meditieren und einen Stapel Notenpapier und dann AB in die KARIBIK! Und zwar auf eine der Inseln, die noch nicht so überlaufen ist, Tobago zum Beispiel. Dort komponierte der Bremer Harry Payuta trotz all der Ablenkungen von tropischer Sonne und tropischer Brandung inmitten des Lärms, den tropische Vögel und tropischer Regen so verursachen, sein tropischestes Album - das er dann im heimischen Fischerhude mit seinen Freunden einspiele. Das Ergebnis heißt "india redhot blue" und befriedigt alle Musik-Bedürfnisse, die zwischen rockig-jazzigen indo-karibischen Tanz-Meditationen schneller sowie langsamer Natur liegen. Hörwürdig.

Buch-Tipp
Egon Ludwig, "Tango Lexikon", Lexikon Imprint Verlag, ISBN 3896022946

CD-Tipps
Silvana Deluigi, "Yo! ", enja 9158-2 (Soulfood)

Gilad Atzmon & The Orient House Ensemble with Robert Wyatt and Guillermo Rozenthuler, "musiK. Re-Arranging the 20th Century", enja TIP-888 848-2 (Edel)

Harry Payuta & Friends, "india redhot blue", Jaro 4263-2 (Ixthulu)

Veranstaltungs-Tipps
"Barfuß in Indien“, Tristan Schulze, Cello und Debashish Sanyal, Sitar, Donnerstag, 3. März 2005, 20:00 Uhr, Sargfabrik, Wien

"Die Welt in der Trikitixa!", Kepa Junkera (Euskadi/Baskenland) & Friends, Samsag, 5. März 2005, 20:00 Uhr, Reigen, Wien

“Tango Nuevo“. Pablo Ziegler, Quinque Sinesi und Walter Castro, Montag, 7. März 2005, 19:30 Uhr, Konzerthaus (Mozartsaal), Wien

Links
Gilad Atzmon
Harry Payuta
Wiener Konzerthaus
Sargfabrik
Reigen, Akkordeonfestival