Der Mann mit den vielen Gesichtern

Wer war Moses?

Moses - Prophet Gottes - kann neben Abraham als die Figur angesehen werden, die die drei so genannten monotheistischen Religionen verbindet. Aber hat es den Propheten überhaupt je gegeben? Darüber streiten die Gelehrten bis heute.

Der Judaist Kurt Schubert über Moses

"Du sollst keine anderen Götter haben neben mir". Dies war das erste der von Moses übermittelten Gebote Jahwes. Moses - der Prophet, Bote Gottes, Gesetzgeber, Volksführer und Feldherr in einem - gilt als Begründer des Monotheismus und damit als Stifter von Judentum, Christentum und Islam. Aber: Hat er überhaupt existiert? Darüber streiten bis heute Gelehrte aus aller Welt.

Der Michelangelo-Moses

Moses - mit wallendem Bart und mit wie von einem unsichtbaren Wind aufgewühlten Gewand - steigt er vom Berg Sinai herunter, die beiden Tafeln mit den zehn Geboten in Händen, und aus den wild bewegten Haaren sprießen zwei kleine Hörner.

So kennt man ihn - Moses, den Propheten Gottes, von der Marmorskulptur des Michelangelo in Rom. Das Renaissancegenie hat jene Moses-Gestalt geschaffen, die ins Gedächtnis des Abendlandes eingegangen ist: Moses, ein Gottbewegter, aus dessen Kopf unübersehbar zwei marmorne Hörner wachsen. Die Hörner haben jedoch nichts mit einem physiologischen Problem des Moses oder gar mit dem Teufel zu tun, sondern mit einer falschen Übersetzung aus dem Hebräischen, sagt der Judaist Kurt Schubert:

"Im biblischen Text heißt es, es leuchtet in seinem Antlitz. "Leuchten" heißt vom Hebräischen übersetzt auch "Horn" - und so hat man in der lateinischen Übersetzung aus Moses den gehörnten Moses gemacht".

Begründer des Monotheismus

Moses, der Gottbewegte, der Gewaltige - Moses, der wütet, weil das Volk Israel das Goldene Kalb anbetet und nicht den einen wahren Gott: Die Geschichte von Moses, der das Volk Israel aus Ägypten herausgeführt hat, findet sich in der Überlieferung der drei monotheistischen Religionen. In der hebräischen Bibel, im Neuen Testament und im Koran ist Moses eine der großen Phrophetengestalten.

Für die Religionswissenschaft gilt Moses als der Begründer des Monotheismus. Doch nach dem Wort der Überlieferung von Juden, Christen und Muslimen ist Abraham der erste Monotheist, und nicht Moses, meint Amir Zaidan, Direktor der Islamischen Pädagogischen Akademie. Dennoch kann Moses als die Figur angesehen werden, die die drei so genannten monotheistischen Religionen verbindet.

Nachkomme von Wirtschaftsflüchtlingen

Die älteste Geschichte von Moses und dem Volk Israel findet sich in der hebräischen Bibel. Sie klingt wie die Geschichte eines Abenteurerlebens: Moses ist der Nachkomme von Wirtschaftsflüchtlingen, die vor Generationen wegen einer Hungersnot aus Kanaan nach Ägypten kamen. Diese Hebräer werden zu Frondiensten herangezogen, doch der Pharao fürchtet sich vor ihnen, weil sie so zahlreich sind. Daher sollen die Söhne der Hebräer gleich nach der Geburt ermordet werden. Doch die Mutter des Moses packt ihren neugeborenen Buben in ein Schilfkörbchen und setzt ihn im Nil aus. Dort findet ihn eine ägyptische Prinzessin und zieht ihn am Königshof auf. Als Moses seine wahre Herkunft entdeckt, nimmt er Partei für die Hebräer. Er erschägt einen ägyptischen Aufseher und muss flüchten. Und hier beginnt die eigentliche Geschichte des Moses: seine Berufung als Prophet.

Moses, der Prophet

Moses erhält von Gott den Auftrag, zum Pharao zu gehen, und die Freilassung des Volkes Israel zu fordern. Der Pharao verweigert die Freilassung, doch dann passieren die vielen Zeichen - der Nil hat plötzlich Wasser voll von bitterem roten Sand, Heuschrecken und Frösche plagen das Land, u. s. w. - bis dann endlich der Pharao die Israeliten ziehen lässt.

Im Judentum ist Moses der Repräsentant Israels, ein Bote Gottes, Gesetzgeber, Volksführer und Feldherr in einem, im Christentum wird die Auseinandersetzung um Moses als Reflexion über das Verhältnis von Judentum und Christentum, von Gesetz und Evangelium, dargestellt. Auch im Koran kennt man die Berufungsvision des Moses.

Die Gottesoffenbarung eine Legende?

"Mose! Ich bin Gott, der Herr der Menschen in aller Welt": - So lautet die Gottesoffenbarung in der Sure 28 in der Übersetzung von Rudi Paret. Die Geschichten von der Offenbarung Gottes haben durch Jahrtausende ihre Wirkung behalten. Juden, Christen und Muslime beziehen sich bis heute auf Moses, auf das Volk Israel und seinen Auszug aus Ägypten.

Für Historiker handelt es sich bei der Mosesgeschichte jedoch nicht um einen historisch exakten Bericht, sondern um eine Legende. Dass es einen historischen Kern dieser Legende gibt, hält Jan Assmann, Professor für Ägyptologie in Heidelberg, für möglich. Denn es gab zum Beispiel Herrscher nicht-ägyptischer Herkunft, die Dynastie der Hyksos - Einwanderer aus Palästina, die sich im Delta ansiedelten. Sie herrschten als Könige Ägyptens, ehe sie vertrieben wurden und Ägypten Kolonialmacht wurde. Auch in der Bibel gibt es ein Indiz für einen historischen Kern. Im Buch Exodus findet sich der Name Ramses. Auch der Name Israel wird an einer Stelle aus dem 13. Jahrhundert erwähnt; schließlich gibt es in jener Zeit im Sinai-Gebiet auch einen Beduinenstamm, der an einen Gott glaubt.

Doch alle diese Geschichten können der Moses-Geschichte historisch höchstens Plausibilität verleihen. Historisch gesehen ist die Geschichte von dem einen Gott, mit dem das Volk Israel am Sinai einen Bund schließt, jedenfalls enorm wirksam - bis heute.

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Moses - Artikel in "GEO.de"