Eine Bücherschau auf Vergangenes

Jazzige Reminiszenzen

Nicht nur neue Jazz-Musikformen sind heute Liebhabern dieses Genres wichtig, besonderes Interesse gilt der historischen Entwicklung. Wen wundert es da, dass es so viele neue Jazz-Bücher darüber gibt und Musiker die Kompositionen ihrer Vorgänger reflektieren?

Lackerschmid, Grothe und die Nacht

Deutlich nimmt das Interesse an der Geschichte des Jazz zu. Einerseits wächst die Zahl an Büchern, die von der Entwicklung des Jazz berichten, andererseits gibt es immer mehr Jazz-Musiker, die die Unterhaltungsmusik des 20. Jahrhunderts reflektieren. Einer von ihnen ist der Vibraphonist Wolfgang Lackerschmid, der nun ein Album über Kompositionen von Franz Grothe veröffentlichte.

Neue Jazzbücher berichten auch über den Free Jazz in Deutschland anhand von Gesprächen mit Albert Mangelsdorff und über die Frei Improvisierte Musik der "Masters of Unorthodox Jazz“ und der "Reform Art Unit“ in Österreich.

Jazz-Tribut für einen Schlager-Komponisten

Mit 16 Jahren Leiter einer Jazz-Band, mit 18 arrangierte er die erste Revue, dann folgten Lied-Kompositionen für den Gesangsstar Richard Tauber und ab 1929 Musik-Partituren für 155 Filme: Franz Grothe, der die populäre Musik in Deutschland nachhaltig beeinflusste. Seine Kompositionen für Filme waren prägend - vom Streifen "Die große Attraktion“ (1931) bis zu seinem letzen Film "Herrliche Zeiten im Spessart (1967). Natürlich wirkte er im Dritten Reich auch in den zahlreichen Komödien-Filmen mit, die von der Not und dem Elend ablenken sollten. Auch in der Nachkriegszeit gab es kaum eine Glückwunschsendung ohne seine Schlager: "Man kann sein Herz nur einmal verschenken“ oder "In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine“ (siehe auch Audiofile).

Wolfgang Lackerschmid, heute einer der wichtigsten Vibraphon-Solisten in Europa, erinnert sich, dass sein Vater abends gerne die Melodien von Franz Grothe am Klavier spielte. Ein halbes Jahrhundert später hat er diese jazzig bearbeitet und ein Album mit dem Titel "A Jazz Tribute To Franz Grothe“ veröffentlicht.

Gespräche über den "anderen" Jazz

Für Franz Grothe mag es keinen stilistischen Bruch in seiner Musik nach dem "Dritten Reich“ gegeben haben. (Warum, wurde noch in keiner Studie festgestellt). Mit herkömmlichen musikalischen Auffassungen hat allerdings Albert Mangelsdorff einen deutlichen Bruch im deutschen Jazzgeschehen im Jahre 1958 vollzogen, als er in einer "International Youth Band“ am Newport Jazzfestival teilgenommen hat. Von diesem Zeitpunkt an suchte Mangelsdorff nämlich nach einer persönlichen Note seines Posaunen-Spiels, die ihm später einen besonderen Platz unter den internationalen Solisten seines Instrumentes einräumte.

Das Buch "Albert Mangelsdorf - Gespräche“ von Bruno Paulot gibt (nicht gerade eindeutige) Auskünfte über die musikalischen Ideen des Posaunisten. Nur indirekt erhält man Aufschlüsse durch Aussagen wie: "Eigentlich bedauere ich, dass es mir als Instrumentalist nicht möglich ist, politische Inhalte zu transportieren. Andererseits denke ist, dass die Haltung, die man als Künstler, der in der Öffentlichkeit steht, bestimmten Strömungen gegenüber einnimmt, auch etwas bewirkt.“

Vier Jahrzehnte der Standhaftigkeit

Wovon Mangelsdorff allerdings kaum spricht, ist die repressive gesellschaftliche Struktur der 50er und 60er Jahre. Diese wird deutlich beschrieben in dem Buch "Die Wiener Free-Jazz-Avantgarde; Revolution im Hinterzimmer“ von Andreas Felber, das am 28. Februar 2005 im Museum Ludwig in Wien präsentiert werden wird. Felber recherchiert darin die bizarren Gerüchte über die verkannten "Jazz-Dilletanten“, die schon vor dem amerikanischen "Free Jazz“ eine "Schule der frei improvisierten Musik" gebildet haben: etwa die "Masters of Unorthodox Jazz", deren Höhenpunkt ihrer Karriere darin bestand, im Wiener Konzerthaus als Vorgruppe von Thelonious Monk zu spielen, oder das Ensemble "Reform Art Unit", das heuer das Jubiläum des 40-jährigen Bestandes feiert und doch kaum bekannt ist.

Mit Carly Bley als Gast spielte die "Reform Art Unit“ bereits 1972 in der allerersten Farb-TV-Produktion des ORF, die an einem Sonntag im Hauptabendprogramm ausgestrahlt wurde. Auch mit den Avantgardisten Anthony Braxton und Sunny Murray gab es zahlreiche Auftritte.

Buch-Tipps
Bruno Paulot, "Albert Mangelsdorff - Gespräche", Oreos Verlag, ISBN 3923857420

Andreas Felber, "Die Wiener Jazz-Avantgarde. Revolution im Hinterzimmer", Böhlau Verlag, ISBN 3205772563

CD-Tipp
Wolfgang Lackerschmid Quintet, "A Jazz Tribute to Franz Grothe", Label Hipjazz 002

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