Brasilianischer Zuckerrohrschnaps als Benzinersatz

Alkohol im Tank

In Brasilien gibt es an jeder Tankstelle Alkohol - und Autos, die entweder mit Benzin oder mit Alkohol fahren. Denn seit den 1970er Jahren nutzt Brasilien Zuckerrohrschnaps als Benzinersatz zur Erhaltung der nationalen Unabhängigkeit. Europa holt nun auf.

Staatssekretär Lamy zum geplanten EU-Export

Benzin ist derzeit so teuer wie noch nie. Doch wenn der Ölpreis steigt, kümmert das viele brasilianische Autofahrer nicht. Dann tanken sie eben kein Benzin mehr - und fahren trotzdem. Denn es gibt eine Alternative: Äthylalkohol.

Brasiliens Autos mit Alkoholfahne

Drei Millionen Autofahrer kreuzen in Brasilien mit einer Alkoholfahne durchs Land. An nahezu jeder Tankstelle wird Alkohol angeboten. Neuerdings gibt es dort die so genannten "Flexfuel"-Autos. Diese Autos fahren entweder mit herkömmlichem Benzin oder mit Alkohol. Die Verbraucher können die beiden Kraftstoffe in jedem Mischungsverhältnis in den selben Tank tun.

Seit gut einem Jahr läuft auch der VW Fox vom Band. Die Europaversion des VW Fox soll mit rund 8.000 Euro als Preisbrecher fungieren. Der im Testwagen eingebaute 1,6-Liter-TotalFlex-Benziner wurde von Bosch entwickelt. Er schluckt bei Bedarf auch Caipirinhas, Pina Coladas oder jeden anderen Alkohol.

Halb so teuer wie Benzin

Fabio Fehere von "Bosch Brasilien" in Campinas, zwei Autostunden von Sao Paulo entfernt, hat das System mitentwickelt. Er erzählt, dass der alkoholhaltige Treibstoff in Brasilien mit 40 Cent pro Liter nur knapp halb so viel wie Benzin kostet. Der Verbrauch von Alkohol ist allerdings um durchschnittlich 30 Prozent höher, muss Fabio Fehere eingestehen.

Aus der Ölkrise geboren

Die Verwendung von Ethanol als Kraftstoff ist weder eine neue Idee noch eine neue Methode. Bereits 1915 wurde Ethanol dem Benzin beigemischt. Auch der Motor von Henry Fords bekanntem Model T war so ausgelegt, dass er mit reinem Ethanol oder mit einem Benzin-Gemisch fahren konnte. Mitte der 1970er Jahre entwickelte Brasilien als erstes und einziges Land ein breit angelegtes Alkohol-Programm, um seine nationale Unabhängigkeit zu erhalten. Der Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft und Technologie in Brasilia, Francelino Lamy de Miranda Grando, verdeutlicht:

"Wir waren sehr vom Ölimport abhängig. Das war der Anreiz, Alkohol betriebene Autos zu entwickeln".

Automobilindustrie zog nach

Auf der Basis von aus Zuckerrohr hergestelltem Ethanol begann die Automobilindustrie nach anfänglichem Zögern mit der Entwicklung und Produktion von Fahrzeugen. Zeitweise wurden bis zu 90 Prozent der Neuwagen mit Alkohol betrieben. In den 1990er Jahren geriet das Programm in eine Krise. Die Kritik bezog sich auf die verkehrspolitische Sackgasse, die die Festlegung auf den PKW bedeutet, aber auch auf ökologische Folgen.

"Heute hat Brasilien das weltweit größte Programm zum Ersatz herkömmlicher Treibstoffe", erklärt Staatssekretär Lamy. Ethanol wird jedoch vorwiegend nur dem Benzin beigemischt.

Sao Paulo - Ethanol-Hauptstadt der Welt

In Brasilien wird Ethanol ausschließlich aus Zuckerrohr gewonnen. Die Staatssekretärin im Energieministerium, Maria das Gracas Silva Foster, erläutert dazu:

"Der Südosten unseres Landes ist der größte Alkoholproduzent. Wir haben heute 300 Alkoholfabriken. Von diesen 300 Fabriken befinden sich 45 Prozent in Sao Paulo. Sao Paulo ist heute die Alkohol-, die Ethanol-Hauptstadt der Welt. 5,3 Millionen Hektar sind mit Zuckerrohr bebaut. Das sind zehn Prozent des landwirtschaftlich genutzten Gebiets. 8,8 Millionen Kubikmeter Alkohol werden für die Herstellung von Treibstoff und 5,8 Millionen Kubikmeter für andere Zwecke genutzt. Das heißt 60 Prozent des Ethanols, das in Brasilien produziert wird, sind für den Treibstoff-Markt bestimmt. Und die restlichen 40 Prozent werden für Cachaca, die Pharmazie und andere Zwecke genutzt".

Zuckerrohr-Ernte in Handarbeit

Die Ernte ist in Brasilien noch pure Handarbeit. Die Blätter des Zuckerrohrs sind messerscharf. Trotz drückender Hitze müssen sich die Arbeiter gut einpacken, um Hautverletzungen zu vermeiden. Auch Schlangen sind auf den Feldern keine Seltenheit. Und doch ist die Plage in der Zuckerrohr-Ernte gefragt, denn - so Sergio Dialetachi von Greenpeace Brasilien - die ungelernten Kräfte werden gut entlohnt:

"Wir können die Zuckerrohrernte nicht mechanisieren. Also müssen wir schlecht bezahlte Arbeitskräfte engagieren - auch um sie weiter durchzubringen, denn es sind frühere Kleingrundbesitzer. Sie wurden vertrieben oder irgendwie gezwungen, ihr Land zu verlassen. Diese Arbeiter sind nicht ausgebildet, und sie sind auf diese Arbeit angewiesen, um zu überleben“.

Europa holt auf

In Europa ist Ethanol als Treibstoff in der Bevölkerung bisher kaum bekannt. Doch Europa holt nun auf. Dies beweist auch eine EU-Richtlinie, die künftig vorsieht, dass dem Benzin zwei Prozent Bio-Ethanol beigemischt werden müssen. Drei Ethanol-Anlagen sollen nun auch in Deutschland ab nächstem Jahr Alkohol für die Kraftstoffindustrie liefern.

Georgia Carina Schultze erhielt für diesen im Februar 2005 in Ö1 ausgestrahlten Beitrag den heuer erstmals vom Motorpresseklub Austria verliehenen Journalistenpreis für außergewöhnliche Leistungen auf dem Gebiet der Automobil- und Verkehrstechnik.

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