Zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz

Zeugen aus der Todeszone

Am 27. Jänner 1945 wurde das KZ Auschwitz befreit. Bilddokumente der Gräuel gibt es so gut wie keine, denn die Täter setzten alles daran, mögliche Zeugen und Beweise zu vernichten. So überlebten auch nur ganz wenige des jüdischen Sonderkommandos in Auschwitz.

Todesfabrik, Vernichtungsmaschinerie - unzulängliche Worte für die Massenvernichtung in Auschwitz. Zulieferung, Gaskammern, Krematorien wurden auf Befehl der SS betrieben, aber die Ausführenden waren die jüdischen Häftlinge des so genannten Sonderkommandos. Diese Häftlinge hatten in der Todeszone des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau viele Aufgaben: Sie brachten die ausgewählten Mithäftlinge in die Auskleideräume. Andere Häftlinge schlossen die Tore und brachten das Gas in die Vernichtungskammern, schnitten dann den Leichen, die anschließend in den Krematorien verbrannt wurden, die Haare ab und brachen vorhandene Goldzähne raus. Denn nicht nur Kleider, Geld oder Schmuck, sondern auch Haare, Zahngold und selbst die Asche wurden von der SS zu Geld gemacht.

Arbeitsteilige Organistation

Alle Abläufe waren nach dem Vorbild moderner industrieller Fertigung arbeitsteilig organisiert, um die Todesfabrik für immer größere Kapazitäten ausrichten zu können. Es gab nur wenige Überlebende dieses Sonderkommandos, und noch weniger haben über diese Zeit berichtet, denn nicht nur die Erinnerungen an die Opfer oder die Brutalität der Bewacher quälten sie, sondern vor allem auch die eigene Rolle in dem Geschehen.

Sie leiden unter der Erkenntnis, dass sie selbst nach einer Eingewöhnungsphase fähig waren, inmitten des Grauens eine Routine zu entwickeln, die ihnen das Überleben ermöglichte. Dieses quälende Wissen unterscheidet die ehemaligen Häftlinge des Sonderkommandos von Auschwitz-Birkenau von fast allen Überlebenden der Konzentrationslager. Was sie über sich selbst in der Todeszone erfahren mussten, geht über alles hinaus, was Menschen über sich selbst jemals erfahren dürfen.

Nachforschungen der dritten Generation

Dreizehn Jahre lang haben Eric Friedler, Barbara Siebert und Andreas Kilian den Bereich Sonderkommando erforscht und die erste Gesamtdarstellung dieses besonders grauenhaften Kapitels der an sich schon schrecklichen Geschichte von Auschwitz erstellt. Alle drei sind Angehörige der so genannten dritten Generation.

Auf eine stille Weise besonders eindrucksvoll sind die Interviews mit Ehefrauen von Überlebenden, denn man fragt sich, wie die Mitglieder des Sonderkommandos wohl mit den Erinnerungen an buchstäblich hautnahen Kontakt zu Todgeweihten weiterlebten und wie ihre Familien wohl das Zusammenleben mit den Traumatisierten eingerichtet haben mögen.

"Etwas von ihm ist für immer im Lager geblieben", sagte Marika Venezia, die sich mit ihrem Mann Shlomo in den 1950er Jahren ein kleines Geschäft in Rom aufgebaut hat. Erst nach Jahren der Ehe hatte er zu reden begonnen, meist am Morgen nach einem Alptraum.

Versuchter Aufstand

In ihrem Buch beschreiben Siebert, Friedler und Kilian in kurzen Zügen die Vorgeschichte: Die Planung des Massenmordes und dessen Organisation, die Entstehung des KZ Auschwitz mit seinen vielen Nebenlagern, den Gaskammern und Krematorien und die Lebensbedingungen des Sonderkommandos sind in den einzelnen Kapiteln beschrieben.

Besonders berücksichtigt wurde der einzige Aufstand des Sonderkommandos, denn es gab immer auch Widerstandsgruppen unter den Häftlingen. Dieser einzige Aufstand scheiterte allerdings im Wesentlichen an der unzulänglichen Bewaffnung, den fehlenden Organisations- und Kommunikationsmöglichkeiten, aber auch an der Resignation der Opfer. So wurden immer wieder Gelegenheiten zum Aufstand versäumt, wenn bei Transporten Tausende Häftlinge eintrafen.

Lästige Zeugen

Im November 1944 wurde von Heinrich Himmler die Demontage der Vernichtungsanlagen in Auschwitz befohlen, was auch das endgültige Todesurteil der Männer des Sonderkommandos bedeutete; als lästige Zeugen sollten sie beseitigt werden. Einige wenige haben überlebt und versucht, ein einigermaßen normales Leben zu führen. Eindrucksvolle Geschichten, die mehr fesseln als alle abstrakten Zahlen und Fakten.

Buch-Tipps
Eric Friedler, Barbara Siebert und Andreas Kilian, "Zeugen aus der Todeszone. Das jüdische Sonderkommando in Auschwitz", dtv, ISBN 3423341580

Alexandre Oler und David Olère, "Vergessen oder vergeben. Bilder aus der Todeszone", zu Klampen! Verlag, ISBN 3934920454