Aktueller denn je?
Topos Raum
Das Thema Raum ist so alt wie das Nachdenken über Kunst. Immer hat sich die Frage gestellt, in welchen Räumen man sich Kunst vorstellen soll und wo sie wirkt. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Raumfrage aktueller denn je, meinen Kunstexperten.
8. April 2017, 21:58
"Der Grund für die Aktualität des Raumes ist die gewaltige Völkerwanderung", sagt Gert Mattenklott, Literaturwissenschafter aus Berlin. Er spricht damit die Migrationsbewegungen aus Arbeitsnot oder Verfolgung nach dem Zweiten Weltkrieg an.
"Es gibt viele Millionen Menschen - und es werden immer mehr- die um den Globus ziehen und keinen realen Raum mehr als Heimat finden. Sie sind darauf angewiesen, sich Räume vorzustellen, in denen sie Kompensation finden für ihre reale Heimatlosigkeit. Und wie diese Räume aussehen, dafür Bilder zu entwerfen, das ist Aufgabe der Kunst."
Vorbelastete Vorstellungen
Mit dem Nationalsozialismus gab es einen Bruch in Bezug auf Raumvorstellungen. Die Sehnsucht nach Räumen rückte in ein fatales Licht. "Volk ohne Raum" war ein Roman, der den Erwerb von Lebensraum als Lösungsstrategie propagierte.
Der Autor Hans Grimm- der Lieblingsschriftsteller Adolf Hitlers - wollte alle Probleme letztendlich auf Raummangel zurückführen. Das Thema Raum konnte erst wieder über Frankreich Eingang in die deutschsprachige Geisteswissenschaften und die Kunst finden.
Raumvorstellungen und Raumkonzeptionen
"Den Raum als solchen gibt es eigentlich nicht", resümiert Robert Kudielka von der Akademie der Künste in Berlin. "Es gibt nur verschiedene Raumvorstellungen und Raumkonzeptionen." Und die werden immer wieder neu erfunden: Da war zunächst einmal der Perspektiv-Raum der Renaissance, dann der Raum der klassischen Moderne wie von Cezanne.
Der nächste wichtige Schritt, mit dem die Kunst Räume selbst zu gestalten versuchte, war die Performance - bei der der Körper dann zum Instrument wurde und die Grenze zwischen Leben und Kunst aufgehoben wurde.
Minimal und Land-Art
Vor allem in den USA gibt es eine Kunst, die massiv versucht, den Raum zu bestimmen. Die Minimal Art - und in gewisser Weise auch die Land-Art - sind raumprägende Künste, die in Museen im traditionellen Sinn kaum noch ausgestellt werden können.
In Beacon, einer Kleinstadt in der Nähe von New York, wurde deshalb ein einzigartiges Museum eröffnet. Hier wird Kunst aus den 60er Jahren bis heute auf unglaublichen 30.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche präsentiert. Es ist ein Museum für die überdimensionalen Werke der Avantgarde-Kunst. Die Land-Art wiederum suchte sich ihre eigene Lösung: sie wählte unberührte Orte, Räume, die nur ihren Kunstwerken gehörten.
Veränderung des öffentlichen Raumes
Doch wie steht´s um den öffentlichen Raum, geht er zusehends verloren? Der Architektursoziologe Werner Sewing aus Berlin meint, dass wir eine Ausdehnung von einer merkwürdigen Mischung aus öffentlichem und privatem Raum haben: die Einkaufszentren sind in der Nutzung öffentlich, aber juristisch in privater Hand.
"Ob das eine Dramatik ist, wie manche sagen, wenn wir öffentlichen Raum verlieren?, fragt sich Sewing. "Es ist eher die Frage, was wir vom Kopf her bereit sind, mit dem öffentlichen Raum zu tun - ob uns nur mehr Kaffeetrinken einfällt oder etwas anderes!"
Die Shopping Malls profitieren von einer Entwicklung: die Stadtzentren entleeren sich, sodass die Städte am Stadtrand neu erfunden werden müssen. Die Mittelschicht zieht sich in die Vororte zurück. Das Phänomen ist international: Die Städte schrumpfen. Sie verlieren Bevölkerung und wirtschaftliche Aktivität. In Bezug auf Raum ergibt sich damit eine abstruse Folge: ganze Areale in der Innenstadt liegen brach.
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Weltweit schrumpfen Städte