Rocking the Casbah

Ethnopop - die (Anti-)Globalisierung

Paul Simon oder Brian Eno haben den Reiz "ethnischer“ Klangfarben für den Pop entdeckt. Musiker aus Algerien, Mali oder Brasilien drehen den Spieß um. Sie kreieren auf der Pop-Autobahn selbstbewusst internationalen "Ethnopop“.

Bossacucanova: Aguas de Marco (Antonio Carlos Jobim)

Es gab zwar immer wieder Ausnahmen: Reggae entstand in Jamaika, Bossa Nova in Brasilien, und Youssou N’Dour ist Senegalese. Aber in Summe war der Pop meistens eine Einbahnstraße. Jedoch - auf der Pop-Autobahn - sind einige unerschrockene Geisterfahrer unterwegs: Rachid Taha, Madioko oder Bossacucanova.

In die Zentren des Pop

Die Welthandelsbilanz des Pop ist seit Jahrzehnten nicht ausgeglichen: Der Hauptexporteur heißt USA, danach folgen England und gelegentlich Länder wie Schweden. In großen Metropolen wie Paris oder London wird die Lage aber zunehmend komplizierter.

Hunderttausende Einwanderer bringen die Musik ihrer Herkunftsländer mit. Den Angehörigen der zweiten und dritten Generation "gehört“ die Musik der Eltern genauso wie internationaler Pop. Mit ihren Verschmelzungen aus beiden platzieren sich junge Musiker folgerichtig im Zentrum des Pop - und nicht in den Randkategorien "Ethno“ oder "Weltmusik“.

Den Spieß umgedreht

Da passt es, wenn die aktuelle CD des "arabischen Johnny Cash“ Rachid Taha einen einstigen Hit von The Clash enthält. Aus "Rock the Casbah“ wurde "Rock El Casbah“, mit E-Gitarren, marokkanischer Flöte, arabischer Perkussion und den Streichern des Egyptian String Ensemble. Groove-betont, aggressiv, aber auch witzig, so vermischt Tahas Album "Tékitoi?“ (lautschriftlich für französisch-umgangssprachlich: Wer bist du?) orientalische und westliche Rockmusik.

Als Zehnjähriger war Rachid Taha vom algerischen Oran nach Nordfrankreich umgezogen. Gelegenheitsjobs, Fabrikarbeiter, Gründungsmitglied der Gruppe "Carte de Séjour“, die in den 80er Jahren unter jungen Einwanderern Kultstatus erlangte. Danach eine Solokarriere, die ihn in Frankreich zum Star machte. Die Ablehnung, die er und viele seiner Landsleute im Gastland erfahren haben, meint man bis heute in seiner Musik zu hören: im rauen Gesang, den Texten, der betonten Selbstbehauptung.

Tanzbare Rhythmen aus dem "Busch"

Paris ist auch der Standort von Madioko - Le Collectif Afro-Funk-Oriental. Der Name ist Programm. Zwei Musiker aus Mali und eine algerische Sängerin bilden den Kern des Trupps, mit einem mobilen Aufnahmestudio fuhren sie durch Mali und Réunion und suchten die Zusammenarbeit mit lokalen Musikern. Westliche Musiker mögen das auch schon getan haben - aber Isaac, Dany’O und Rafika wird man nicht vorwerfen können, sich nur mit fremden Federn schmücken zu wollen.

Dabei wird die Verschmelzungsarbeit unter dem Titel "rythm’n’bled“ mit einem kräftigen Schuss Selbstironie betrieben: "bled“ heißt Kaff; ein erstes Album nannten sie "Rythm’n’Brousse“ - "brousse“ bedeutet Urwald oder Busch. Zwischen Aufnahmen im traditionellen Stil finden sich Fusionen in allen möglichen Mischungsverhältnissen - großartig zum Tanzen geeignet, und sie machen Spaß.

Ausschnitte aus der neuen CD von Madioko gibt's ebenfalls in den "Spielräumen" am Dienstag, dem 18. Jänner in Ö1 zu hören.

Raffinierter Brazilectro-Nachschlag

Subtil und elegant - so machen sich drei junge Brasilianer ans Werk, den in die Jahre gekommenen Bossa Nova zu revitalisieren. Die CD "Uma Batida Differente“ von Bossacucanova überzeugt mit gekonnt dosierten Samples, die aber den "menschlichen Faktor“ respektieren, also Stimmen und akustischen Instrumenten ihren Platz lassen. DJ Dalua, Alexandre Moreira und Marcio Menescal begannen vor sieben Jahren mit dem Remixen brasilianischer Klassiker. Und setzten damit - endlich! - den zahllosen Remixes europäischer und nordamerikanischer DJs eine eigenständige Variante aus dem Ursprungsland entgegen.

Ausschnitte aus "Uma Batida Differente" hören Sie ebenfalls in den "Spielräumen" am Dienstag, dem 18. Jänner. Beginn: 17:30 Uhr

CD-Tipps
Rachid Taha, “Tékitoi?”, Wrasse Records Wrass 126X (im Vertrieb von Universal)
Bossacucanova, “Uma Batida Differente” Ziriguiboom/Crammed Discs ZIR 18 (im Vertrieb von Ixthuluh)

Veranstaltungs-Tipp
Madioko, 25. bis 29. Jänner im Wiener Jazzlokal "Birdland"

Link
Birdland