Ein Epos für den Nationalstolz
"Weiden besang ich, Felder und Führer..."
Mit seinem Epos "Aeneis" ist der römische Dichter Vergil in die Weltliteratur eingegangen, aber nur ein Zufall hat das Werk der Nachwelt bewahrt. Vergil wollte es kurz vor seinem Tod vernichten. Kaiser Augustus und Vergils Verleger verweigerten ihm diesen letzten Wunsch.
8. April 2017, 21:58
Die "Aeneis" des römischen Dichters Vergil (70-18 v. Chr.) zählt zu den bedeutendsten Werken der antiken Literatur. Nur durch einen Zufall blieb dieses Epos über die Anfänge des römischen Imperiums (und die angeblich göttliche Abstammung des Kaisers Augustus) erhalten. Vergil hatte verfügt, dass die Dichtung, sollte er vor ihrer Vollendung sterben, vernichtet werden müsste. Das berichtet der römische Grammatiker Aelius Donatus. Kaiser Augustus, der ein Förderer Vergils war, sowie Vergils Verleger - Lucius Varius und Plotius Tucca - verweigerten dem Sterbenden die Erfüllung seines letzten Willens.
Warum will ein Poet sein wichtigstes Werk vernichten? Waren es tatsächlich nur die "sprachlichen Unsauberkeiten" und die Probleme beim Versmaß, wie Aelius Donatus in seiner Vergil-Biografie behauptet? Generationen von Altphilologen und Literaturwissenschaftern waren und sind dieser Ansicht.
Als Anwalt zu schüchtern
Wer war dieser Vergil? Geboren im Jahre 70 v. Chr., im Dorf Andes bei Mantua. Die Eltern wohlhabende Gutsbesitzer. Sie ermöglichen ihrem Sohn eine gute Ausbildung. Ein Versuch, als Anwalt in Rom Fuß zu fassen, scheitert kläglich. Durch sein zurückhaltendes Wesen macht er in einem Beruf, der geschliffene Konversation und Prozessrhetorik verlangt, den Eindruck eines Tölpels. Vergil, fast krankhaft schüchtern, verlässt Rom und wird - auf der Suche nach der "Meeresstille der Seele" - in Neapel ein Schüler des dort lehrenden epikureischen Philosophen Siro.
Die Ermordung Caesars und der Bürgerkrieg treffen den zurückgezogen Lebenden. Aus den Nachfolgekämpfen um die Macht im Staat geht Caesars Großneffe und Erbe Gaius Octavius, der spätere Augustus, als Sieger hervor. Bei Philippi in Makedonien hatte Augustus mit seinen Truppen die Legionen der Caesarmörder Brutus und Cassius vernichtet und musste nun seine Soldaten mit Landzuteilungen in Italien abfinden.
Kunst braucht Frieden
So kommt es, dass Vergil den väterlichen Besitz verliert und mit einem Schlag arm ist. Er kehrt ins ungeliebte Rom zurück, trifft dort alte Freunde: Asinius Pollio, Cornelius Gallus und Alfenus Varus, sie, Literaten und Politiker, waren mit Augustus schon persönlich bekannt geworden. Mit wohlwollender Geduld und etwas urbaner Sophistik versuchen sie bei Vergil für Augustus Stimmung zu machen: Augustus sei der einzige Politiker, der Rom retten könne, er zeige zudem Vergnügen an gelungenen Versen und habe ein beachtliches Kunstverständnis.
Die Kunst brauche in einer Zeit des Umbruchs ebenso wie das Volk den Frieden. Warum sollte man dafür Augustus nicht literarisch danken? Es gehe nicht um hohle, schwülstige Lobpreisungen. Eine knappe Anspielung, eine unauffällige Aufmerksamkeit des Wortes - in römischer Schlichtheit, wie sie Augustus sehr liebe, wäre genau das Richtige.
Stern am römischen Literaturhimmel
Maecenas und andere Freunde erreichen, dass Vergil Augustus vorlesen darf. Vergil findet Beifall und Ermutigung. In Rom spricht sich schnell herum, dass mit Vergil ein neuer Stern am römischen Literaturhimmel aufgegangen ist. Als Anerkennung seiner dichterischen Leistung erhält Vergil von Augustus wieder den elterlichen Besitz in Andes und großzügige Geldspenden in Millionenhöhe.
Augustus regt Vergil, da die Römer noch kein Nationalepos besitzen, zur "Aeneis" an. Ein Werk, würdig ihres Nationalstolzes und ihres Sendungsbewusstseins als Herrenvolk in der Welt, das sollte es sein. Vergils "Aeneis" sollte den literarischen Glanzpunkt zur neu angebrochenen Ara bilden. "Literatur am Ende einer Kultur", die Verquickung von Literatur und Politik, das wird für Vergil bestimmend.
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