Kämpferin für Frauenrechte

Victoria Woodhull

Vor über 130 Jahren, 1872, kandidierte Victoria Woodhull als erste Frau für das Amt des Präsidenten von Amerika. Die breit angelegte Kampagne der Wall-Street-Brokerin, Feministin und Journalistin löste erregte Diskussionen aus und schaffte ihr viele Feinde.

Als die Vereinigten Staaten von Amerika im Jahr 1920 das Frauenwahlrecht einführten, lud im fernen England eine alte Dame zur Pressekonferenz. Victoria Woodhull, 82 Jahre alt und Hausherrin des noblen Norton Manor in der Grafschaft Worcestershire, erklärte den erstaunten Lokaljournalisten, in Wahrheit sei sie die "Mutter des amerikanischen Frauenwahlrechts".

Stolz posierte sie mit ihrem Freund, dem Earl von Coventry, für das Pressefoto. Was die Journalisten nicht wussten: Victoria Woodhulls Eigenlob war stark untertrieben. Sie hatte in ihrer Jugend nicht einfach nur wählen wollen, sie wollte Präsidentin von Amerika werden. Victoria Woodhull, die nette, englische Dame, war einmal die radikalste, skandalumwittertste Feministin gewesen, die Amerika je erlebt hat.

"Den Männern getrotzt"

Sie hat mehr für die Frauen getan, als jede andere von uns es gekonnt hätte. Sie hat den Männern getrotzt und sie herausgefordert, und wurde dafür mit Schmähungen überschüttet, die eine Frau schaudern lassen. Sie hat es riskiert, mit jener Art von Schande gezeichnet zu werden, die jede andere von uns, die man doch immer willensstark genannt hat, gelähmt haben würde. Sie wird so berühmt sein, wie sie berüchtigt war, ehrlos gemacht von unwissenden und feigen Männern und Frauen. In den Annalen der Emanzipation wird Victoria Woodhulls Name als der einer Befreierin verzeichnet sein.

Als die prominente amerikanische Frauenrechtlerin Elizabeth Cady Stanton dies im Jahr 1875 schrieb, kannte wohl jeder in Amerika den Namen Victoria Woodhull. Noch gut erinnerte man sich an den unglaublichen Aufstieg des Gossenmädchens aus Ohio zur reichen Wall Street-Brokerin. An die Aufsehen erregenden Reden über Sozialismus und freie Liebe, zu denen Tausende in die größten Hallen New Yorks strömten. An ihren Auftritt vor Politikern in Washington, der die Woodhull zur umjubelten Anführerin der Frauenrechtlerinnen gemacht hatte.

Jahrelang waren die Zeitungen voll gewesen mit Klatsch und Tratsch über die angeblich unmoralischen Lebensverhältnisse der Frau, die als erste in der amerikanischen Geschichte für die Präsidentschaft kandidiert hatte - und das fast fünfzig Jahre vor der Einführung des Frauenwahlrechts.

Ewiges Thema: Respektabilität

Diskutiert wurde damals vor allem Woodhulls "Respektabilität". Nicht nur die Konservativen, sondern auch die Frauenbewegung und die Arbeiterbewegung standen ihr reserviert gegenüber, denn sie stammte aus der Unterschicht und ließ sich nicht mit bürgerlichen Maßstäben greifen.

Ihr Auftreten war eigenwillig bis skandalös, ihre Theorien passten nicht in die herkömmlichen politischen Schemata. Im 20. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Ideologien, geriet Victoria Woodhull deshalb in Vergessenheit.

Die Wiederentdeckung

Im 21. Jahrhundert jedoch, dem Jahrhundert der zerbrochenen Systeme, könnte Victoria Woodhull wieder entdeckt werden - als Symbol für die weibliche Liebe zur Freiheit, die das Risiko eingeht, sich der Welt und ihren Widersprüchlichkeiten ohne Dogmatismus zu stellen.

Diese Wiederentdeckung wird aber wohl eher nicht von den Universitäten ausgehen. Zwar sind in den letzten Jahren erste Biografien über sie geschrieben worden, doch die Nachricht von dieser erstaunlichen Feministin verbreitet sich bislang eher abseits der akademischen Gleise. Dem Andenken einer Victoria Woodhull ist das vielleicht sogar angemessen, schließlich stand sie auch zu ihren Lebzeiten außerhalb jeder Institution.

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Links
Victoria Woodhull - Biografie
Victoria Claflin Woodhull Martin