Von Rentierhaltern zu Fleischproduzenten
Die Samen
In Norwegen ist die Urbevölkerung als "indigenes Volk" anerkannt, doch die parlamentarische Mitbestimmung der Samen ist eingeschränkt. Und die Integration der halbnomadischen Rentierhalter in die norwegische Markwirtschaft hatte ökologische Folgen.
8. April 2017, 21:58
Zwischen 50.000 und 100.000 Menschen zählt das kleine Volk der Samen, die früher abwertend als "Lappen" bezeichnet wurden. Sie haben nach der letzten Eiszeit die Küsten Nordeuropas besiedelt, wurden aber immer weiter in den Norden abgedrängt. Heute lebt die Urbevölkerung, unter recht unterschiedlichen Bedingungen in vier verschiedenen Staaten: in Schweden, Finnland, Russland und Norwegen, dem einzigen Land, in dem die Samen als "indigenes Volk" anerkannt sind.
Eingriffe des Staates
Als Hochburgen samischer Kultur in Nordnorwegen gilt die Innere Finnmark mit den Orten Kautokaino und Karasjok. Dort wird fast ausschließlich samisch gesprochen und von dort, so sagt man, kommen auch die besten Joiker. Der Joik, eine der ältesten und bis heute lebendigen europäischen Musikformen, wird vor allem bei den halbnomadischen Rentierhaltern geschätzt, die mit ihren Herden auf der bitterkalten, aber schneearmen Tundra überwintern.
Im April oder Mai zieht es die Tiere wieder zur Küste und die Rentierhalter folgen ihnen nach. Ihr Leben wird aber nicht mehr ausschließlich von den natürlichen Wanderbewegungen der Rentiere bestimmt, sondern zunehmend vom Staat, berichtet der Anthropologe Ivar Björklund: "Die norwegische Regierung hat alles unternommen, um die Rentierhalter in die Markwirtschaft zu integrieren und aus der Wanderweidewirtschaft ein profitables Geschäft zu machen. Aus Rentierhaltern wurden Fleischproduzenten."
Überweidete Tundra
Die ökologischen Folgen blieben nicht aus: Die Tundra ist durch zu viele Rentiere überweidet. Die staatlichen Stellen fordern daher eine drastische Reduzierung der Herden. In der westlichen Finnmark, wo es derzeit etwa 130.000 Rentiere gibt, soll die Hälfte geschlachtet werden. Die Rentierhalter wehren sich dagegen mit dem Argument, dass die Zahl der Tiere vom Klima abhängig ist und natürlichen Schwankungen unterliegt. "Eine Herde kann nach einem guten Winter mit genügend Futter auf 1000 Tiere anwachsen, wenn dann ein schlechter Winter kommt, kann sie auf 500 Tiere zusammenschmelzen", sagt Risten Longu vom Rentierhalterverband, einer kleinen, aber einflussreichen Organisation, die auch im Samen-Parlament vertreten ist.
Eingeschränkte Mitbestimmung
Das Samen-Parlament wurde 1989 geschaffen und im Jahr 2000 haben die 39 gewählten Volksvertreter ein neues Gebäude bezogen, dessen Plenarsaal einem Lavvu, einem traditionellen samischen Zelt nachempfunden wurde. Wegen seiner Schönheit wurde das architektonische Meisterwerk aus Holz bereits mit 2 Preisen ausgezeichnet, doch die Institution hat einen gravierenden Makel: "Das Samenparlament hat keine Macht. Es kann keine Entscheidungen treffen und Gesetze beschließen. Unsere Rolle beschränkt sich darauf, zu bestimmen, welche Themen im norwegischen Parlament diskutiert werden müssen", klagt Ragnhild Lydia Nystad, die Vizepräsidentin des Samen-Parlaments.
Dennoch hat die norwegische Minderheitenpolitik deutliche Fortschritte gemacht. Noch bis in die 70er Jahre versuchte der Staat die Samen mit allen Mitteln zu assimilieren. Die samische Kultur war verpönt, die Verwendung der samischen Sprache wurde sogar verboten. Erst der so genannte Alta-Konflikt, ein jahrelanger erbitterter Widerstand gegen den Bau eines Wasserkraftwerkes in ihrem Siedlungsgebiet, hat dazu geführt, dass die Samen international aber auch innerhalb Norwegens als Urbevölkerung wahrgenommen und schließlich als "indigenes Volk" anerkannt wurden.
Download-Tipp
Ö1 Clubmitglieder können die Sendung am Donnerstag, den 4. November, nach Ende der Live-Ausstrahlung des dritten Teiles im Download-Bereich runterladen.
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Die|Die Samen in Norwegen