Ada, Alev und Smutek
Spieltrieb
Dass das Opfer ein Guter ist, gehört zum Spiel, geht es doch auf einer Ebene von Juli Zehs Roman um Fragen des Rechts und Unrechts, um Moral in postmodernen Zeiten der Bindungslosigkeit und um die Beliebigkeit von Attributen und Verhaltensweisen.
8. April 2017, 21:58
In Juli Zehs neuem Roman geht es um die Manipulation von Menschen durch ein perfid ausgeklügeltes Spiel, das in der Realität der Handlungen und Wirkungen im Verlauf des Buches seinen grausamen Offenbarungseid leistet: Einer der Beteiligten wird brutal zusammengeschlagen, ein Lehrer stürzt sich vom Dach, eine Frau erfriert fast - und all dies hängt irgendwie miteinander zusammen.
Zwei supercoole Postnihilisten
Zwei Schüler eines Bonner Gymnasiums mit angeschlossenem Internat, das ausgerechnet den Namen des Philosophen der Hoffnung, Ernst Bloch, trägt, schließen sich zu einem Pakt zusammen. Sie sind superintelligent und stolz darauf, dass sie nicht einmal mehr an das Nichts glauben. Postnihilisten also oder einfach Vertreter einer vollkommen antriebslosen Generation.
Ihr Opfer ist nicht etwa der karrieristische Direktor der Schule, auch nicht irgendein schwacher Lehrer, sondern der sympathischste von allen: Smutek, aus Polen stammender Emigrant wider willen, der um die 40 ist, groß, gut aussehend und enthusiastischer Deutsch- und Sportlehrer. Auf langen einsamen Trainingsrunden auf der Laufbahn verliebt sich Smutek in seine Schülerin. Ada und Alev, so heißen die beiden Jugendlichen, nützen die Schwäche Smuteks und stellen ihm eine Falle: Ada provoziert den sexuellen Akt im Turnsaal, der impotente Alev ist mit der Kamera dabei, das Opfer ist den beiden ausgeliefert.
Musil kennen und lieben
Das berühmte Zitat Ciceros, wonach das höchste Recht zugleich größtes Unrecht bedeuten kann, steht als Motto dem Roman voran. Ada und Alev stellen ein Jenseits von Gut und Böse auf die Probe. Keine Frage, dass sie philosophisch geschult sind und Nietzsche kennen. Keine Frage auch, dass sie Musils "Mann ohne Eigenschaften" kennen und lieben. Ein Albtraum für die Geschichts-, Philosophie und Deutschlehrer können solche Schüler sein, aber auch das Salz in der Suppe eines trägen Schulalltags.
Kein Lebensalter kommt der Gattung Roman so entgegen wie die Pubertät: Die Pubertät gibt die Lizenz zu hemmungslosem Philosophieren, zur anmaßenden blasphemischen Diskussion der großen Fragen. Das macht sich Juli Zeh gekonnt zu Nutze. Die 30-Jährige mit der Bilderbuchkarriere ist die vielleicht begabteste Arrangeurin großer Stoffmassen unter den jüngeren Autoren.
Die Sonne "brüllt wie ein zahnloser Tiger"
Die erzählte Zeit in "Spieltrieb" reicht bis ins Jahr 2004, der Irakkrieg kommt vor, die Wiederwahl Schröders zum deutschen Bundeskanzler, die Hitze des Sommers 2003, wichtiger aber: Juli Zeh beschreibt Attribute und Accessoires der Jugendlichen, von Turnschuhen bis zu fettigen Haaren, genau. Und: Die Lektüre gewinnt schnell an Fahrt, entwickelt den berühmten Sog, von dem die Rezensenten so gerne sprechen.
Juli Zeh ist fast allzu perfekt: Auf den gut platzierten und entwickelten Plot, auf die Reflexionen über das Wesen des Rechts sattelt sie auch noch jede Menge an gegenwartsgesättigten Metaphern auf. Dabei hat's ihr u.a. das Wetter angetan. Die Sonne brennt nicht einfach vom Himmel, sie "brüllte wie ein zahnloser Tiger vom Himmel, schoss Licht ohne Wärme in die Straßen der Stadt, blendete wintertrübe Augen, holte Staub und zerknüllte Taschentücher unter den Heizkörpern hervor, verhöhnte die schamlose Nacktheit kahler Bäume und Büsche, entdeckte Fettfingerspuren auf Windschutzscheiben und", die Sprachorgie ist noch nicht zu Ende, "bewarf die Fenster der oberen Stockwerke mit explodierenden Blitzen".
Zu intelligent ist auch dumm
Ähnlich ergeht es den Sophismen, Ada und Alev sind over sophisticated, ihre Autorin ist es vielleicht auch. Zu viel ständig betonte Intelligenz kann auch auf die Nerven gehen. Das können wir als Leser den Lehrern nach empfinden. Es gibt keine absolute Wahrheit, kein absolutes Recht, keine absolute Moral, sagt uns der Roman. Er tut das mit etwas zu viel Aufwand; trotzdem ist "Spieltrieb" ein gutes Buch.
Buch-Tipp
Juli Zeh, "Spieltrieb", Schöffling & Co, ISBN: 3895610569