von Giselher Smekal

14. Oktober 2004

Giselher Smekal lässt seine Gedanken umher schweifen. Er gesteht die Vernachlässigung des Tagebuchs, erinnert sich an seine Kindheit mit Großmutter und Radio, und erzählt ein wenig von der österreichischen Schriftstellerin Elfriede Jelinek.

Zugegeben, ich war in letzter Zeit etwas nachlässig. Aber was sollte ich dem Diario anvertrauen, wenn ich mich kaum noch zurechtfinde? Kulinarische Erlebnisse aus dem Urlaub, während ich damit kämpfe, mein Körpergewicht zu stabilisieren? Eindrücke aus dem Orient, die so gar nicht in die heute im Reisebüro zu buchende Kategorie passen, weil die meinen geprägt sind von einem 35 Jahre zurückliegenden Aufenthalt bei den Tuaregs im Süden Algeriens? Unerfüllte Berufsträume zu wälzen, während ich meinen Traumberuf ohnehin ausüben kann, seit über zwanzig Jahren im Radio zu erzählen, was ein ganz bestimmtes Musikstück so besonders und einzigartig macht?

Geübt habe ich für diesen Job schon im Volksschulalter. Schon damals war ich ein kritischer Rundfunk-Hörer. Meine Großmutter, die ständig Radio hörte, hat mich darauf aufmerksam gemacht, welche Ansagen von Musikstücken entsprechend und welche unzulänglich bis irreführend waren. Also setzte ich mich regelmäßig vor einen Spiegel, was mir die Illusion erlaubte, einem Moderator im Funkhaus zuzusehen, und erklärte einem imaginären Publikum die Besonderheiten der Etüden aus der "Schule der Geläufigkeit" von Cerny oder aus dem "Gradus ad parnassum" von Clementi, eines Ländlers von Schubert oder eines Menuetts von Haydn.

Die Klavierlehrerin

Was ich da formulierte, stammte vor allem von den Erklärungen meiner Klavierlehrerin. Aber ich baute damit auch meinen Frust über sie ab. Sie wollte mir immer wieder Tricks zur Interpretation beibringen. Diese Spielweisen konnte ich aber nicht aus dem Notenbild nachvollziehen. Und so reagierte ich mich ab, indem ich sozusagen "kritische Kommentare" in meine imaginären Ansagen einfügte. Damit habe ich in den 50er Jahren etwas voraus genommen, was erst 20 Jahre später zögernd in die Radio-Sendungen Eingang gefunden hat: die Moderation.

War ich vielleicht ein "Wunderkind" der radiophonen Gestaltung? Erstens konnte ich meine Versuche geheim halten, doch zweitens hätte niemand von meinem Wunsch, Radio-Sprecher zu werden Notiz genommen. Immerhin war das Radio ein relativ neues Medium, das erst vor 30 Jahren entstanden ist!

Ich gestehe, noch einen weiteren Berufswunsch, nämlich Komponist zu werden. Auch diesen verdanke ich einer Radio-Sendung, auf die mich meine Großmutter aufmerksam gemacht hat.

"Hier in der Zeitung ist ein Bild," sagte sie eines Tages entrüstet und erklärte ihre Entrüstung damit, dass dieses Bild nur Kreise und Punkte zeigte und doch das Notenbild eines Stückes darstellen sollte. "Und diese Musik hören wir uns nun an", sagte sie und stellte das Radio an.

Was wir da gemeinsam hörten, stammte vermutlich von John Cage. Das Entsetzen der Großmutter war gar nichts gegen meine Begeisterung. Wochenlang zeichnete ich Kreise, Linien und Punkte auf Blätter, die ich dann am Klavier in Klangorgien umsetzte.

Erschwerende Umstände und Fragen zu Flipper

Gut 15 Jahre später war es soweit: Zwei meiner Kompositionen erhielten den 1. Preis der Jugendkulturwoche 1969 in Innsbruck. Der Lyrik-Preis wurde Elfriede Jelinek zuerkannt - "Sweet Amaryllis". Wir schätzten gegenseitig unsere Arbeit, und Elfriede bewunderte außerdem meine Krawatte.

Sie als Musikstudentin und ich als quasi musikalischer Autodidakt haben in Bereichen, die uns gleichsam "nicht zugestanden" haben, die Preise erhalten.

Sie formulierte 1970 "Fragen zu Flipper". Ich realisierte damals fürs Fernsehen mein Stück "Eldorado" für Sopran, Geige und Flipper-Automat.

Doch da brach der Kontakt ab. "Erschwerende Verhältnisse" ist der Titel eines Textes von Elfriede Jelinek. Erschwert waren die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Künstlern kaum Raum zum Überleben ließen. Elfriede Jelinek hat durchgehalten. Sie hat unglaubliches auf sich genommen. So gebührt ihr der Preis aller Preise; der Nobel-Preis.

"Erschwerende Umstände" heißt ein Text von Elfriede Jelinek, der mich ungemein berührte.

Ganz andere erschwerte Umstände haben mich veranlasst, Radio-Moderator von Musik-Programmen zu werden. Das lässt zwar nicht zu, wutentbrannt gesellschaftliche Missstände zu geißeln, Doch manchmal ergibt sich so etwas wie ein kritischer Kommentar in der Gestaltung einer Musiksendung - eben in den "Spielräumen", wenn ich Blues-Aufnahmen aus acht Jahrzehnten präsentiere.