Eroberer und Vertriebene

"Livländer"

Die Spuren deutscher Geschichte gehören in Riga zum unverwechselbaren Stadtbild - von Straßennamen bis zu historischen Gebäuden. Erst 1939 ging dieser Teil lettischer Geschichte zu Ende. Damals siedelte Hitler 60.000 Deutsch-Balten heim ins Reich um.

Lettland wurde von deutscher Kultur geprägt, um nicht zu sagen "dominiert". Deutsche bildeten zumindest 700 Jahre lang die Oberschicht in Livland - das ist der Großteil des heutigen Lettlands und Estlands.

Missionierung im 12. Jahrhundert

Ihre Geschichte im Baltikum beginnt Ende des 12. Jahrhunderts mit der Missionierung Livlands. Der Papst stellte dieses militärisch-religiöse Unternehmen den Kreuzzügen in Palästina gleich.

Als Belohnung für ihren Kampf erhalten die baltischen Kreuzritter Ländereien. Bewirtschaft wird der Großgrundbesitz bald von rechtlosen einheimischen Bauern. Eine Konstellation, die im Lauf der Jahrhunderte immer mehr zum sozialen Pulverfass werden soll.

Die deutschen Feudalherren und das städtische Großbürgertum im baltischen Livland sind zwar kulturell und über den Handel mit ihrem Heimatland verbunden, bleiben aber sonst selbständig.

Sieben Jahrhunderte lang an der Macht

Wer in Livland aufsteigen will, muss deutsche Kultur annehmen. Die Oberschicht - Händler und adelige Großgrundbesitzer - ist ausschließlich "deutsch".

Sechshundert Jahre lang, bis ins 19. Jahrhundert bleiben die deutschstämmigen Balten im heutigen Estland und Lettland an der Macht - wenn auch unter wechselnden Schirm-Herrschaften, zuletzt geduldet von Russland.

Französische Aufklärung im Baltikum

Im 19. Jahrhundert macht sich die französische Aufklärung auch im Baltikum bemerkbar. Nach drei Landreformen, die letzte in den 1860er Jahren, wird die Leibeigenschaft abgeschafft. Nun können auch estnische und lettische Bauernsöhne Besitz erwerben und studieren. Die Keimzelle für die späteren baltischen Staaten.

Die Bindung der unter russischer Herrschaft stehenden Deutschen an Deutschland ist durchaus zwiespältig - sie bezeichnen sich nicht als Deutsche, sondern als Balten.

Aufstand der Letten

Die sozialen Konflikte zwischen deutschen Gutsbesitzern und Kaufleuten sowie lettischer Unterschicht werden immer größer. 1905 proben die Letten den Aufstand. Sie brennen 180 Güter nieder und ermorden Deutsch-Balten. Die Strafexpedition folgt auf dem Fuß: Sie kostet mehr als 2000 Letten das Leben.

Während des ersten Weltkrieges wandert die Hälfte der deutsch-baltischen Bevölkerung ab oder kommt im Krieg um. Die Volksgruppe in Estland und Lettland schrumpft auf rund 80.000 Personen.

Ausrufung der Unabhängigkeit

Estland ruft im Februar 1918 die Unabhängigkeit aus, Lettland im November. Zu dieser Zeit besitzen die Deutschbalten immer noch 50 Prozent aller Ländereien - aber sie werden in einer großen Agrar-Reform enteignet. Die Zeit ihrer Herrschaft über das Baltikum ist endgültig abgelaufen.

Estland und Lettland erlauben den Deutschbalten deutsche Schulen, damit sie ihre kulturelle Eigenständigkeit bewahren können.

Beginn des Nationalsozialismus

1933 kommt in Deutschland Hitler an die Macht, 1934 etablieren sich auch im Baltikum autoritäre Regime. Ein Teil der deutschen Minderheit im Baltikum beginnt sich an die Nationalsozialisten anzulehnen. NS-Redakteure übernehmen die vorher sehr liberale "Rigasche Rundschau", was die Entfremdung zwischen Deutschen und Letten noch weiter vorantreibt.

Im August 1939 besiegelt Hitler in einem Pakt mit Stalin das Schicksal der Deutsch-Balten. Das Baltikum soll den Russen zufallen, Hitler siedelt innerhalb weniger Wochen mehr als 60.000 Deutsch-Balten in den Warthe-Gau, das besetzte Westpolen, um.

1945 müssen die Umsiedler auf der Flucht vor den vorrückenden Russen auch den Warthegau verlassen.

Aufarbeitung der Vergangenheit

In Lettland hat sich die Bewertung der deutschen Vergangenheit in den letzten Jahrzehnten stark zum Positiven verändert. Der Verein Domus Rigensis etwa bemüht sich nach der Unabhängigkeit Lettlands 1991 wieder verstärkt um das deutsch-baltische Erbe.

Rund 100 Häuser in Riga oder in der Villenstadt Jurmala
sind jetzt wieder im Besitz ehemaliger Deutschbalten bzw. ihrer Erben, weil die Gebäude nie rechtmäßig verkauft wurden.

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Links
Domus Rigensis
Deutsch-Baltische Landsmannschaft