Was hält die Welt zusammen?

Tumult im Teilchenzoo

Man fährt über eine "Route Oppenheimer" oder eine "Route Einstein". In der Kantine schlürfen Nobelpreisträger am Nachbartisch ihre Suppe, wählen kann man zwischen einem "Menü Proton" und einem "Menü Neutron". Man ist im Kernforschungszentrum CERN.

Selbst der Koch hat hier Ahnung von Physik. Auf den Wiesen grasen gemächlich Kühe, an klaren Tagen hat man einen Blick auf das Dach Europas, den Mont Blanc. Eidgenössische Postkartenidylle mit französischen Touch.

Unter der Erde

Die wirklich wichtigen Dinge spielen sich am CERN (Conseill Eurpopeen pour la Recherche Nucléaire) aber 100 Metern unter der Erde ab: Seit 50 Jahren rasen winzige Teilchen durch riesige Ringschleuniger: Elektronen, Positronen und Protonen, die positiv geladenen Atomkernteile.

Pro Sekunde umkreisen 10 Tausend den 27 Kilometer langen unterirdischen Beschleuniger. Nur gut, dass Elementarteilchen keine Passkontrolle durchlaufen müssen, wenn man bedenkt, dass sie dabei gleich zweimal die schweizer-französische Grenze passieren.

"Versöhnungsprojekt" der europäischen Wissenschaft

Was für die winzigen Teilchen gilt, bestimmt auch den Arbeitsalltag der 2500 fest Angestellten CERN-Mitarbeiter und 6000 Gastwissenschaftler aus aller Welt. Hochenergiephysik bedeutet weltumspannendes Teamwork in unterirdischen Kathedralen und globale Völkerverständigung in der Kantine, inzwischen über Europas Grenzen hinaus.

An den riesigen Experimenten des CERN arbeiten heute Inder und Pakistani friedlich miteinander zusammen, auch nach 50 Jahren hält man in Genf an der ursprünglichen Gründungsidee für das Forschungslaboratorium fest. Diese bestand nach dem 2. Weltkrieg nicht nur darin, den "Brain Drain" europäischer Kernphysiker nach Amerika zu stoppen, sondern auch in einem "Versöhnungsprojekt" Europas auf dem Gebiet der Wissenschaft.

Was hält die Welt zusammen?

Das wissenschaftliche Ziel des CERN ist heute wie vor einem halben Jahrhundert bei der Gründung am 29. September 1954 das Selbe geblieben. Eine wissenschaftliche Antwort zu geben auf Goethes faustische Frage, was denn die Welt im Innersten zusammen hält?

In ihren Beschleunigern produzieren die CERN-Forscher künstliche "Mini-Urknälle", indem sie z.B. ab 2007 Protonen miteinander kollidieren lassen. Bei diesen energiereichen Zusammenstößen entstehen jene fundamentalen Bausteine, aus denen sich die Materie des Universums zusammensetzt. Die Spuren dieser Bausteine werden anschließend in verschiedenen Detektoren verfolgt, aufgezeichnet und ausgewertet.

So versuchen die CERN-Wissenschaftler dem Bauplan unseres Kosmos auf die Schliche zu kommen. Naturwissenschaftler als Epigonen der göttlichen Schöpfung.

Das Standardmodell der Teilchenphysik

Und sie haben Erfolg dabei, wie das Standardmodell der Teilchenphysik heute recht eindrucksvoll demonstriert. Es beschreibt im Wesentlichen die 12 fundamentalen Materieteilchen unserer Welt und die vier Naturkräfte, die zwischen ihnen wirken: die starke und schwache Kernkraft, den Elektromagnetismus und die Schwerkraft.

Doch einige fundamentale Fragen sind auch nach 50 Jahren offen geblieben. Woher z.B. stammt eigentlich die Masse in unserem Universum? Noch immer haben die Physiker auf diese kardinale Frage keine Antwort gefunden - unglaublich, aber wahr.

Auf der Suche nach den "Higgs-Teilchen"

Die Theoretiker meinen, das so genannte "Higgs-Teilchen" sei dafür verantwortlich, allein experimentell nachgewiesen wurde es bis heute noch nicht. Vielleicht gelingt der wissenschaftliche Durchbruch mit den Experimenten am neuen Protonenbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider), die in drei Jahren am CERN beginnen sollen.

Kostenpunkt des Mammutprojekts, an dem 500 Universitäten aus 85 Ländern beteiligt sind: ca. zwei Milliarden Euro. Der Tumult im Teilchenzoo geht also weiter.

Mehr über Quarks und andere Teilchen in science.ORF.at

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CERN