Wer in Zukunft nur sendet, hat keine

Vom Dampfradio zur Klangtapete

Anlässlich des Jubiläums "80 Jahre Radio" erscheint im Böhlau-Verlag ein Sammelband mit 23 Aufsätzen, in denen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Mediums beleuchtet werden. AutorInnen sind durchwegs (Ex-)ORF-Mitarbeiter - von Hugo Portisch bis Bogdan Roscic.

Wie sehr sich die Anforderungen an ein modernes Radioprogramm geändert haben, zeigt ein Beitrag von Ö1 Programmchef Alfred Treiber, den wir hier vorab - leicht gekürzt - veröffentlichen.

Vorweggenommene Behauptung

In Zukunft geht es um nicht mehr und nicht weniger als um die Weiterentwicklung und Neupositionierung des Radios vom Sender zum multimedialen Dienstleistungsunternehmen. Wer in Zukunft nur mehr sendet, hat keine. Der muss sich mit seiner (gesellschaftlichen) Bedeutungslosigkeit abfinden und sich in immer kleinere Nischen (Formate) zurückziehen. Da kann man dann Radio als arbeitstherapeutisches oder finanzielles Hobby betreiben - oder als ideologisches Vehikel einer bestimmten Mission.

Das gilt für alle Sender, aber für das Kulturradio mitteleuropäischer Prägung in besonderem Maße, weil Ansprüche und Kosten entsprechend, oder für viele eben unentsprechend, hoch sind.

US-amerikanisches Radio ist für diese Problematik ein gutes Beispiel - wie nämlich eine mediale Großmacht nach europäischem Maßstab auf den Status eines ambitionierten Entwicklungslandes sinken kann … Oder haben Sie gewusst, dass die in Europa boomende Gattung Hörspiel in den USA nur mehr in Museen produziert wird? Oder dass die von deutschen Kultursendern neuerdings importierte Idee, keine intelligente Wortstrecke darf dem Publikum länger als elf Minuten zugemutet werden, ebenfalls eine Doktrin aus dem Technologie-Mekka ist?

Interessant, nützlich, wichtig

Ein Sender, der nicht in den medialen Teufelskreis von steigenden Ausgaben und sinkender Bedeutung - man könnte auch sagen von sinkenden Einnahmen und steigender Irrelevanz - kommen will, der muss erhebliche Anstrengungen unternehmen, für sein Publikum interessant und letztlich wichtig zu sein. Man könnte es auch nützlich nennen. Im Übrigen gilt das für jeden Sender. Die ohnehin problematische und von kommerziellen Interessen geleitete Unterscheidung zwischen Unterhaltungs- und Kulturradio spielt letztlich keine Rolle.

Das Produkt muss stimmen

Es geht um ein Programm, das auf die Bedürfnisse seines Zielpublikums abgestimmt ist. Diese Bedürfnisse müssen von der Marktforschung, in diesem Fall von einer professionellen Radioforschung, ausreichend untersucht und mit der Erfahrung und dem "Bauchgefühl" der Radiomacher angereichert werden.

Das klingt nach Binsenweisheit, aber in der Medienrealität ist das oft gar nicht so leicht umzusetzen. Es mag regionale Unterschiede und Strategien geben, aber im Wesentlichen hat man bei kleineren Märkten und begrenzten finanziellen Mitteln dann angemessenen Erfolg, wenn das Programm Folgendes berücksichtigt: Es sollte umfassend und generalistisch sein, also so etwas wie "ganzheitlich". Es sollte daher alle für die Zielgruppe relevanten Themen und Emotionen berücksichtigen, sollte inhaltlich und formal gleich anspruchsvoll, unverwechselbar sein, jederzeit erkennbare Konturen zeigen. Es sollte sich durch einen permanenten Wechsel von Spannung und Entspannung und einen guten Wort-Musik-Rhythmus auszeichnen. Und es sollte zeitgemäß und serviceorientiert sein.

Das alles klingt nach einem simplen Rezept. In der Realität der regionalen Unterschiede und Ansprüche ist die einigermaßen punktgenaue Positionierung eines erfolgreichen Programms aber reichlich kompliziert und aufwendig.

Das Produkt muss sich verkaufen

Wenn also das Produkt stimmt, geht es als Nächstes um den Verkauf des Produktes, wobei, wer sich dann besser fühlt, diese Begriffe auch unter Anführungszeichen gesetzt sehen kann. Es gibt ja Kulturmenschen - selbstverständlich ohne Anführungszeichen - denen es bei Begriffen wie Produkt und Verkauf den kulturell leicht verstimmbaren Magen umdreht. An der Unerlässlichkeit eines modernen Marketings ändert das aber nichts. Wobei es um Marketing im weitesten Sinn geht und nicht nur um Werbung …

Radio ist mehr als Radio

Wenn sich einmal das Zielpublikum mit dem Programm und mit dem Image des Programms identifiziert (was entschieden mehr ist, als dass es ihm einigermaßen gefällt), dann ist die wesentlichste Voraussetzung erfüllt, dass es sein Sender werden kann. Und dann wird es von diesem Sender reflexartig mehr verlangen als Sendungen. Oder es wird zumindest tendenziell damit einverstanden sein, dass ihm mehr angeboten wird als 24 Stunden Radioprogramm … Es wird also eine Entwicklung einsetzen müssen, die "on air"-Aktivitäten mit solchen "off air" und auch "online" verbindet und zu einem Medium neuer Qualität macht.

Am Beispiel von Ö1 kann man diese Maßnahmen zur Hörerbindung im Laufe der letzten zehn Jahre am kleinen österreichischen Markt skizzieren: Es wurde der Ö1 Club gegründet, der eine Programmzeitschrift mit redaktionellem Teil herausgibt und der seinen Mitgliedern eine Reihe von Vorteilen bietet, u. a. ermäßigten Eintritt bei Kulturveranstaltungen der mehr als 700 Kooperationspartnern in ganz Österreich und die Möglichkeit der Teilnahme an den "Ö1 Club Exklusiv"-Events. Wichtig war auch die Öffnung des Funkhauses durch die Errichtung des RadioKulturhauses plus KlangTheater mit täglichen Kulturveranstaltungen und einem RadioCafe.

Mehr Interaktion

Ein wesentlicher Punkt für das Radio mit Zukunft ist die neue Qualität der Kommunikation und Interaktion. Diese neue Qualität kommt durch das Internet dazu - als eigenes Medium mit eigenen Gesetzen, aber auch als ideale Ergänzung zum Radio. Ein adäquater Internetauftritt wird in Zukunft für einen erfolgreichen Radioauftritt unerlässlich sein, weil die Ansprüche in Richtung Kommunikation und Interaktion ständig steigen und am Sender nicht ausreichend auf entsprechendem Niveau befriedigt werden können. Dazu kommt noch der Faktor Schnelligkeit, der beim Kultursender durch die längeren Sendungen nicht in gleicher Weise wie z. B. bei einem Flächenprogramm eine Rolle spielen kann und will.

Beispiel: Festspielsender

Ö1 überträgt vieles live, manches zeitversetzt, aber insgesamt stellt es sein Sommerprogramm unter dem Titel "Ö1 - der Festspielsender" auf dieses Ereignis ein und reserviert dafür Jahr für Jahr einen beträchtlichen Teil seines Budgets.

Zusätzlich sucht das Ö1 Marketing Partner, denen die gemeinsame Nutzung der beiden starken Marken Salzburger Festspiele und Ö1 einiges wert ist. Dieses Geld kommt zum Teil dem Programm zugute, einen anderen Teil benötigt man für klassische Werbung und um den letzten Teil werden beispielsweise Festspielkarten gekauft, um sie an Hörer (über Verlosungen) weitergeben zu können. Es gibt nämlich in der Zwischenzeit eine Kooperation mit den Festspielen, im Zuge derer Ö1 ein Kartenkontingent erhalten und an die Ö1 Club-Mitglieder in Form von ermäßigtem Eintritt oder Zutritt zu Generalproben weitergegeben hat. Dazu gibt es Kooperationen mit Reisebüros oder den ÖBB …

Im Internet gibt es die Vorberichte, die Inhaltsangaben der Opern, Materialien zu Theater und Konzerten, eine vergleichende Zusammenstellung aller Kritiken aus dem In- und Ausland, die Kommentare unseres Publikums samt Diskussion und Feedback auf die Diskussionen der Fachleute im Radio - um nur einiges zu nennen.

Überlebensversicherung

Das ist in etwa die Beschreibung einer der vielen Möglichkeiten des Radios auf dem Weg vom traditionellen Kultursender zum multimedialen Dienstleistungs- oder Serviceunternehmen. Neupositionierung heißt, dass es nicht nur um die Vermittlung von Wissen und/oder Unterhaltung geht, sondern auch um Nähe und Nützlichkeit. Auf alle Fälle führt sie zu einem guten Image und einer starken Marke, die für ein Lebensgefühl steht.

Und im besten Fall bildet sich eine mehr oder weniger verschworene "Community". Ob die nun aus Ha-Ha-Schurken, Ö-Drivern, Sound-Parkern oder so genannten Kulturmenschen besteht, ist zweitrangig, entscheidend ist, dass sie die Überlebensversicherung für das Radio bedeutet …

Buch-Tipp
"Vom Dampfradio zur Klangtapete - Beiträge zu 80 Jahre Hörfunk in Österreich", herausgegeben von Haimo Godler, Manfred Jochum, Reinhard Schlögl, Alfred Treiber, Böhlau-Verlag, 2004. Beiträge von Alfred Treiber, Joseph Braunbeck, Reinhard Schlögl, Manfred Jochum, Peter Dusek, Hans Szuszkiewicz, Petra Herczeg, Rainer Rosenberg, Hugo Portisch, Ernst Grissemann, Kurt Rammerstorfer, Roland Machatschke, Dieter Dorner, Götz Fritsch, Christian Scheib, Richard Goll, Heidi Grundmann, Karl Amon, Bogdan Roscic, Martin Blumenau, Paul Twaroch, Haimo Godler, Joseph Schimmer und Reinhold Knoll.

Mehr dazu in Ö1 Inforadio

Veranstaltungs-Tipp
Ö1 Symposium: Vom Sender zum multimedialen Serviceunternehmen, RadioKulturhaus, Freitag, 1. Oktober 2004

Links
Böhlau
radiokulturhaus.ORF.at