Vier Fataawa gegen Turki al-Hamad

"Rechtsgutachten" vs. Literatur

Die Universität von Kairo erteilt pro Jahr etwa 500 Rechtsgutachten. Darunter gibt es auch solche, die für ein Vergehen gegen den Glauben den Tod des Sünders verhängen. Vier Fataawa hat das Buch "Adama" dem als Reformisten bekannten Autor schon eingebracht.

Ein verbotenes Buch lesen? Aufregend! "Der verbotene Bestseller aus Saudi-Arabien. Ein mutiges Buch, komisch und weise" steht auf dem Umschlag von Turki al-Hamads Entwicklungsroman "Adama". Das muss doch neugierig machen!

Ein verbotenes Buch lesen ist aber auch ziemlich anstrengend, denn wenn man sich dann auf die Geschichte eingelassen hat, dann fragt man sich, welcher Satz, welche Aussage das islamische Rechtsempfinden so sehr beleidigt hat, dass ein Verdikt gerechtfertigt scheint. Die Sexszenen? Die Darstellung des verborgenen Riad? Das Wirken einer kommunistischen Untergrundpartei?

Vier Rechtsgutachten

Vier Fataawa hat das Buch dem als Reformisten bekannten Autor Turki al-Hamad schon eingebracht. Vier Todesdrohungen. Aber Moment mal! Wieso kann er dann frisch, fromm, fröhlich, frei in Riad weiterleben, als wäre nichts gewesen? Zunächst: Fatwa heißt schlicht und einfach "Rechtsgutachten".

Dass dieser Begriff bei uns ins schiefe Licht geraten ist, hat etwas mit Politik zu tun, mit der Fatwa, die Ayatollah Khomeini am 14. Februar 1989 gegen Salman Rushdie und alle, die an der Veröffentlichung der "Satanischen Verse" beteiligt sind, geschleudert hat.

Was der Prophet nicht vorhersehen konnte

Eine (oder "ein", die Lexika widersprechen einander in diesem Punkt) Fatwa ist im Prinzip nichts anderes als eine Verhaltensempfehlung für einen gläubigen Muslim. Eine Fatwa wird durch einen Mufti, einen Theologen und Rechtsgelehrten, erstellt, und regelt jene Unklarheiten, die der Prophet in seinen sehr genauen Vorschriften nicht vorhersehen konnte.

So gibt es eine Fatwa gegen Pokemon, gegen Software-Piraterie, gegen übermäßigen Zigarettenkonsum etc. Man hat sogar eine Art "Online-Briefkasten" eingerichtet, bei dem Ratsuchende rechtgläubige Auskunft erhalten.

Für Vergehen gegen den Glauben

Die Gültigkeit von Fataawa ist begrenzt: Ein Sunnit wird keine schiitische Fatwa befolgen, und was in Bangladesh empfohlen wird, ist den Marokkanern normalerweise egal. Fataawa können auch zurückgenommen werden (aber nur von dem, der sie verkündet hat) - so geschehen durch den saudischen Scheik Ali Al-Khudair: Vor laufender Kamera widerrief er seine durch Hetz-Fataawa untermauerte Unterstützung von "Heiligen Kriegern", nachdem Selbstmordattentäter in einem Wohnviertel in Riad eine Autobombe gezündet hatten.

Unter der Fülle von Empfehlungen (die Universität von Kairo erteilt pro Jahr etwa 500 Fataawa) gibt es auch solche, die für ein Vergehen gegen den Glauben den Tod des Sünders verhängen. Und: Fataawa werden eingefordert. Von Gruppen oder Einzelpersonen.

Im Ausland sicherer leben

Dass Michel Houellebecq trotz seiner islamfeindlichen Aussagen zwar mit einer Todes-Fatwa bedroht wurde, aber noch keine am Hals hat, liegt offenbar daran, dass er den französischen Muslim nicht so wichtig ist.

Weniger glimpflich kam Taslima Nasrin davon, die ihr leidenschaftliches Eintreten für die Hindu-Minderheit in Bangladesh in ihrem Roman "Scham. Lajja" nach einer Fatwa mit Übergriffen gegen ihre Familie büßen musste und nun in Kanada lebt.

Freiheit ist kein Thema für Rechtgläubige

Ebenfalls in Kanada lebt "der kanadische Rushdie" Irshad Manji. Die Fatwa gegen sie betrifft ihr Buch "Der Aufbruch. Plädoyer für einen aufgeklärten Islam". Freiheit, Menschenrechte und Gewaltverzicht dürfen für Rechtgläubige kein Thema sein.

In einer 1997 in Afrika veröffentlichten Gedichtsammlung prangert die sudanesische Schriftstellerin Kola Boof die Verbrechen der sudanesischen Araber an den Nichtarabern an, was ihr eine Todes-Fatwa einbrachte - und eine Morddrohung von Osama Bin Laden höchstpersönlich.

Bedrohtes Leben

Wie ernst diese Todes-Fataawa zu nehmen sind, lehrt die Vergangenheit: Der algerische Poet Youssef Sebti wurde 1992 mit durchschnittener Kehle gefunden. Der saudische Lyriker Sadiq Melallah wurde enthauptet, der ägyptische Essayist Makin Morcos erstochen, der ägyptische Denker Farag Foda erschossen. Der Literatur-Nobelpreisträger Nagib Mahfus überlebte ein Attentat, der türkische Autor Aziz Nesin entkam per Zufall einem Brandanschlag auf sein Hotel, bei dem 35 Menschen starben.

Bücher am Index

Übrigens brauchen sich Islamgegner im ferneren Westen den rigorosen Bücherverbietern gar nicht so überlegen fühlen. In kleinerem Rahmen werden nämlich auch in den USA Bücher verboten, aus Bibliotheken und Highschools entfernt oder schlicht und einfach nur mit einer öffentlichen Ablehnung, einem "Challenge", gebrandmarkt - worüber die American Library Association seit 1990 genauestens Buch führt. Unter den Top 10 dieser zweifelhaften Hitliste: Mark Twain "The Adventures of Huckleberry Finn", John Steinbecks "Of Mice and Men" und J. K. Rowling mit allen Harry Potters.

Buch-Tipp
Turki al-Hamad, "Adama", Deutsch von Cordula Kolarik, Heyne Verlag, ISBN 1886913609