Mehr als "konzertant"

Oper für die Massen

Man fühlt sich fast wie im Opernhaus, bloß, dass man zuhause bleiben kann. Und dass die Bühne fehlt, fällt kaum ins Gewicht. Die Rede ist von der Radiooper. Das Genre ist schon beinahe so alt, wie das Radio selbst.

Am Anfang war die Frage. Wie muss Musik, wie muss "Oper ohne Bühne", beschaffen sein, um die angepeilten Massen bei der Stange zu halten.

Für einen der Pioniere des Genres, den Schreker- und Wolf-Ferrari-Schüler Mark Lothar lautete die Antwort: durch phantasievolles Festschreiben spätromantischer Musizierkonventionen, so etwa für sein 1935 im Berliner Rundfunk uraufgeführtes Werk "Das kalte Herz", basierend auf einer Wilhelm-Hauff-Geschichte. Diese Antwort haben sich am Beginn der Geschichte von Oper im Radio nicht wenige Komponisten gegeben.

Opernübertragungen aus Opernhäusern und von Festspielen wurden sehr bald riskiert - in Deutschland 1921 das erste Mal aus dem Opernhaus Unter den Linden in Berlin, 1930 aus Bayreuth, die BBC begann 1923 mit einer "Zauberflöte", die regelmäßigen Live-Sendungen aus der Metropolitan Opera New York begannen 1931. Die RAVAG übertrug zum ersten Mal 1926 live aus der Wiener Staatsoper.

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Neues Medium, neue Anforderungen

Das neue Medium Rundfunk verlangte aber nach mehr. Die Sänger und Sängerinnen mussten näher an die Mikrophonen, die Stücke mussten im zeitlichen Ablauf kompakter werden und die Dramaturgie durfte das Fehlen der optischen Komponente nicht oder fast nicht merkbar werden lassen.

Anfänge in Österreich

Das "Einrichten", Funk-Konform-Machen von bestehenden Werken war eine Methode, die gezielte Anfertigung von Funkopern eine andere. In Österreich begann das alles 1925, mit der Sendung der Oper "Sang-Po" von Rudolf Tlascal. So wurde dem heute völlig vergessenen Schüler von Franz Schmidt mit seinem Faible für Asiatisch-Exotisches und seiner Musiksprache im Fahrwasser von Giacomo Puccinis "Madame Butterfly" die Ehre zuteil, im Mittelpunkt der ersten Opernübertragung des Österreichischen Rundfunks zu stehen.

Expressionistisches Grauen

Das Unheimliche zum Ausdruck zu bringen, den Hörern die Haare zu Berge stehen zu lassen, das hatten die frühen Medienkomponisten schon beim expressionistischen Stummfilm gelernt - denn die meisten Pioniere der Funkoper hatten auch auf diesem Sektor Erfahrung - so zum Beispiel Horst Platens Funkoper "Die schweigende Glocke" aus den mittleren 1920er Jahren.

Viel später, als die Musik elektronisch wurde und abgesehen davon die Zwölftontechnik so gut wie obligat war, lebt sich Oper im Radio wieder im Reich des Sinistren, Grauenerregenden, Geheimnisvollen aus.

Weitere Ausflüge wären möglich: nach Polen zu Zbigniew Wischnjewski, der sich in den 1950er Jahren beim Experimentalstudio des Polnischen Rundfunks in Warschau ganz auf die Arbeit für den Funk konzentrierte; in die USA, zu Cadman, Gruenberg, Gian-Carlo Menotti - 1939, mit "Die alte Jungfer und de Dieb" -, in die Tschechoslowakei - etwa zur selben Zeit, Bohuslav Martinu, mit "Die Stimme des Waldes" und "Komödie auf der Brücke" -, nach Italien - Dallapiccolas "Gefangener", schon nach dem Krieg, und mit etwas Recherche in den nationalen Archiven hat wahrscheinlich jedes Land seine Radio-Opern-Geschichte.

Exemplarischer "Lindberghflug"

Eine weitere Stilrichtung ist die "epische" Funkoper, theoretisch unterfüttert durch Bertolt Brecht und Kurt Weill. Weill hatte 1926 seine erste Hörspielmusik geschrieben und interessierte sich auch als Theoretiker fürs neue Medium Radio. Als die Baden-Badener Musiktage des Jahres 29 dann exklusiv der Radiokunst gewidmet waren, taten sich er, Brecht und Paul Hindemith zusammen, um zu zeigen, wie man ein Thema, das in aller Munde war, musikalisch-radiofon aufbereiten konnte: den Atlantikflug von Charles Lindbergh. Ergebnis: "Der Lindbergflug".

Oper als Propagandainstrument

So eins zu eins haben diesen Brecht-Weill-Radioopern-Stil wenige Komponisten übernommen - geradezu "herrschende Lehre" muss er aber dann in der DDR geworden sein, eine Zeit lang zumindest. Dafür, und als Beleg, wie die Gattung Funkoper auch in den Dienst von Demagogik und politischer Indoktrinierung gestellt wurde, steht "Fetzers Flucht" mit Text von Günter Kunert und Musik von Kurt Schwaen, einem Musiker der in DDR-Zeiten an Brechts Seite arbeitete.

Fetzer will in den Westen, die Flucht gelingt, er wird nicht er wird zum Opfer der Grenzpolizei, die in der Oper gar nicht existiert, sondern er wird vielmehr zum Täter, zum Mörder, und von den Autoren wendig in einer Geschichte von Schuld und Schuldkomplexen verstrickt. Kunert und Schwaen lassen Fetzer schließlich im Westen in einem unmenschlichen Internierungslager Qualen leiden und kehrt schließlich reumütig zurück.

Oper goes Hörspiel

Irgendwann in den 1960er Jahren hat sich das Genre unter dem Einfluss der Avantgarde in Richtung Hörspiel aufgelöst, da mochte ein Heinrich Sutermeister, der mit der "Schwarzen Spinne", 1936 für Radio Beromünster, ebenfalls seinen Beitrag zum Thema "Grusel-Funkoper" geleistet hatte, noch so unverdrossen weiter "Radioballaden" wie "Fingerhütchen" oder "Die Füße im Feuer" vorlegen.

Den Anfang vom Ende der Funkoper markiert Hans Werner Henzes "Ein Landarzt" (NDR 1951) in der die Titelfigur bei ihrem inneren Monolog auf Franz Kafkas Spuren wandelt und dabei schon sehr in Hörspielbereiche gerät.

Und in Österreich?

Wie die erhaltenen Beispiele zeigen, ging es hierzulande viel kommoder mit der Funkoper weiter. Da schrieb mit Heinz Sandauer im Jahr 1953 etwa einer der beliebtesten Unterhaltungsmusiker der Zeit mit "Geld oder Leben" kein Lehrstück, obwohl der Hörer mit dem Satz "Geld macht nicht glücklich" ins nachfolgende Radioprogramm entlassen wird, sondern eine nicht ganz ernstzunehmende Krimigeschichte um einen entlassenen Häftling. Den sang damals übrigens Julius Patzak.

Axel Cortis Liebeserklärung ans Radio im Rahmen der Reihe "80 Jahre Radio" hören Sie am 20. September um 11:40 Uhr.

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