"Der Größte aller Zeiten"

13. Me, Wheee!

Boxen gilt als Brutalo-Sportart, primitiv und dumpf. Stimmt nicht, zumindest nicht immer. Muhammad Ali - "Der Größte aller Zeiten" - hat gezeigt, dass Boxen auch Kunst sein kann. Eine Würdigung.

Der olympische Faustkampf hat Tradition. Bereits im Jahr 688 v. Chr., bei den 23. Spielen der Antike, kämpften die Athleten mit geballten Fäusten um den begehrten Ölbaumzweig.

Das Turnier war allerdings nichts für Mimosen: Die Regeln verlangten ausschließlich Schläge auf den Kopf, der Kampf endete, wenn einer der beiden Kontrahenten aufgab, kampfunfähig oder tot war.

An Brutalität wurde der antike Boxsport nur noch vom Pankration, dem Allkampf, übertroffen. Dort waren auch Treten, Würgen und sogar Fingerbrechen erlaubt.

Amateure: Punkte statt Knockout

Im Vergleich dazu nehmen sich die neuzeitlichen olympischen Boxturniere geradezu gesundheitsschonend aus. Gekämpft wird über vier Runden a zwei Minuten, selbstverständlich mit gepolsterten Handschuhen und Kopfschutz.

Ein Treffer wird anerkannt, wenn er von mindestens drei der fünf Punktrichter innerhalb einer Sekunde gewertet wird - per Computer, versteht sich. Für das Punktekonto eines Olympioniken spielt allerdings nur die Anzahl, nicht aber die Wirkung der Treffer eine Rolle.

Dementsprechend sind bei den Amateurboxern K.O.-Siege ziemlich selten, während sie in den sich über zwölf Runden erstreckenden Profikämpfen noch immer als finale Krönung des Schlagabtausches angesehen werden.

Paradoxerweise steht also das nicht-olympische Profiboxen seinem antiken Vorbild näher als die olympischen Amateurkämpfe.

Fechten mit Fäusten

Das hat auch mit den Ursprüngen des modernen Boxsports zu tun. Die ersten verbindlichen Regeln wurden nämlich vom britische Fechtmeister James Figg im 18. Jahrhundert formuliert - und auch heute gleicht das Amateurboxen eher einem Fechten mit Fäusten denn einer sportlich verbrämten Prügelei.

Ersichtlich etwa an der schulmäßigen Haltung: Der Oberkörper in halbseitlicher Stellung zum Gegner, die linke Faust wie ein Degen leicht nach vorne gestreckt, die Rechte schützend vor den Kopf gezogen (bei Linkshändern natürlich umgekehrt). Mit einer Strategie à la Mike Tyson - frontal mit wilden Schwingern auf den Gegner losstürmen - ließe sich im Amateurbereich vermutlich keine Medaille holen.

Schweben und Stechen

Wir Fernsehsportler begehen vor dem Gong zur ersten Runde gerne einen typischen Anfängerfehler, indem wir meistens den muskulöseren Athleten auch als gefährlicheren Boxer einschätzen.

Es geht aber weder um dicke Muskeln, noch um pure Kraft: Olpympiasieger wird derjenige, der seine Fäuste schnell und präzise ins Ziel bringt und dabei selbst nicht getroffen wird. Wie das idealerweise gemacht wird, hat etwa ein gewisser Cassius Clay bei den olympischen Spielen 1960 in Rom vorexerziert.

Float like a butterfly sting like a bee, lautete die Strategie, die dem damals 18-Jährigen US-Amerikaner die Goldmedaille im Halbschwergewicht einbrachte. (Kleine historische Präzisierung: Den Kampfstil praktizierte er schon damals, der Slogan wurde allerdings erst zehn Jahre später geprägt).

Das größte Großmaul aller Zeiten

Vier Jahre nach seinem Profi-Debüt besiegte Clay den damals regierenden Champion im Schwergewicht, Sonny Liston. Mit diesem Erfolg gegen den "hässlichen Bären" wurde er Meister aller Klassen im Boxen, hätte es eine WM im Spontanreimen gegeben, wäre ihm der Titel auch hier sicher gewesen.

Muhammad Ali, wie sich Clay seit diesem Fight nannte, hatte sich nämlich das im Wrestling übliche Großsprechertum angeeignet und zu einer Art stand up poetry weiterentwickelt.

Verhöhung à la carte

Was Ali fortan betrieb, war - frei nach Harry Rowohlt - Gegnerverarsche mit Betonung, die so flink wie seine linken Geraden abgefeuert wurde (If he's hip/ he'll take a dip/ 'cos I'ma bust his lip) und nicht selten prognostischen Charakter hatte (Archie Moore, will be on the floor, in round four!).

Ali zog als erster und einziger Übertreibungskünstler (I'm so fast, I flipped the light switch and was under the covers asleep before the room was dark) seiner Zunft nicht nur die einschlägig Interessierten in seinen Bann, sondern auch viele, die sonst nichts mit dem Boxen am Hut hatten.

Rumble in the Jungle

Wer zur letzten Kategorie gehört, dem sei der Film "When We Were Kings" von Leon Gast ans Herz gelegt. Dieser handelt vom legendären Titelkampf mit George Forman, der 1974 in Kinshasa stattfand und als Rumble in the Jungle in die Geschichte einging.

Die Dokumentation lässt einen nachvollziehen, warum Norman Mailer Ali einmal als "Propheten des 20. Jahrhunderts" bezeichnete: Sie zeigt dessen Schlagfertigkeit, Charisma und Frechheit - sowie ein sportliches Ereignis, dessen Resultat in die Kategorie Wunder eingereiht werden muss. Nebenbei auch das kürzeste Spontangedicht aller Zeiten: Me, Wheee!

Text: Robert Czepel hat seine vielversprechende Kampfsportkarriere als Judoka in der Volksschule vorzeitig beendet. Fürchtet bei Fernsehübertragungen von wichtigen Boxkämpfen auch nicht den Wecker um drei Uhr früh. Best fights ever: Das Ali-Foreman-Duell (als Gesamtkunstwerk) sowie die Mittelgewichtsschlacht zwischen "Marvelous" Marvin Hagler und Thomas Hearns vom 15. April 1985 (das größte Furioso der Boxgeschichte).

Links
Muhammad Ali - Official Website
When We Were Kings (deutsches Filminstitut)
Athen 2004
ORF.at - Spiele 04
Auch der schnöde Mammon lockte
Olympische Spiele in science.ORF.at
Österreichisches Olympia und Sport Museum