Klicklich zu zweit

Über die Liebe schreiben

Im Unglück schreibt es sich am allerbesten, das ist erwiesen. Unglücklich verliebt gelingt schon einmal ein Satz. Anders bei glücklicher Liebe. Das Letzte, was dann geht, ist Schreiben. Ein Versuch, das Letzte zu geben…

Die Wiener sind Patienten. Es grassiert eine Seuche, die Mundwinkelkrankheit, morbus grant. Selbst das zauberhafte Bahnhofsambiente vermag nichts zu lindern. Haben die alle kein Internet?

Was mussten diese Menschen durchmachen, um eines wunderschönen, wiewohl bittren Tages so dreinzuschauen! Meine letzten neun Stunden waren keine Faschingsfeier (im Zugabteil mit einer Kleinfamilie - blinder Vater, erheblich jähzornige Mutter, Walkmankabel fressendes Kind -, im Raucherbereich des Speisewagens fünf Norddeutsche mit der ins Greisenalter verschleppten Passion, nach drei Schluck Bier unisono "Heil!" zu brüllen), doch selbst diese Vorhölle konnte das - gewiss schafsblöde - Lächeln in meinem Gesicht nicht lindern. Ich hab ja Internet!

Das Beste am Wiener Westbahnhof ist, dass es da eine Postfiliale gibt. Ein eventuell während der Zugfahrt (zwischen "Heil!" und Family-Wrestling) verfasster Brief findet dort dankbare Abnehmer. Endabnehmerin wird eine Person neun Zugstunden entfernt sein. Verwackelt ist die Schrift, pathetisch die Worte, bitter war der Abschied.

Zu Hause fährt mein tolles Notebook hoch, während ich meiner Reisetasche ein Säckchen entnehme, welches ein getragenes T-Shirt beinhaltet. Es soll seinen Platz am Kopfende des Bettes haben.

"Liebe in Zeiten des Internet", lächelte ich Joseph Schimmer, dem Meister der Ö1-Internetseiten, im Foyer des Funkhauses zu - das würde mein erstes Thema sein. "Ein Klassiker!" gab er zweischneidig zurück, und ich fragte mich einen Tag lang, ob es pietätlos oder eher revolutionär wäre, unumwunden zuzugeben, dass man sich in eine Internetbekanntschaft verliebt hat - bis ich einsah, dass ich über gar nichts anderes zu schreiben imstande gewesen wäre, so pfeilgerade steckt der juvenile Blitz des Verzückens in meinem ganzen Körper.

Ein Klassiker ist das Thema allemal. Aber solange die Sonne sich um die Erde dreht, werden die Verliebten ganz einfach von der Liebe reden. Ihre Flüssigkeitszufuhr beschränkt sich auf das Nippen an Weingläsern und Kaffeetassen? Das Knurren des Magens versickert sekundenschnell im kühlen, einfarbigen Leinen. Sandkörner im Senf zur Currywurst? Sie nehmen alles hin.

Und sie stellen sich selbst alberne Fragen. Wie es wohl ist, wie eine Möwe zu fliegen - wie die da oben - und einfach nur runterzugucken? Wie viele Menschen sind wohl gerade verliebt, weltweit? Ob das erhoben werden kann? Ob sie der bestimmt sehr freundlichen Dame am Telefon der "Statistik Austria" anvertrauen sollten, dass es ihnen ein groteskes, aber dringendes Bedürfnis sei, dies zu erfahren? Ob sie nun wirklich dem Internet dankbar sein sollten?

Letzteres fragen sich meinesgleichen. Sie fragen sich, wie viele Klicks sie wohl abgesondert haben in den letzten Wochen, Klicks auf immer denselben Link: Mailbox. Sie beginnen nachzurechnen und verzichten darauf, zu verstehen, wie sie nur so kopflos sein können, ihre Tage mit einer Tätigkeit zuzubringen, die sie nach der Pubertät eilends vergessen hatten: Tagträumen.

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