Annäherungen durch fernsehen

04. Gewichtige Familientradition

Als der Sohn von Edmund Sackbauer dem Gewichtheben entsagte, gestikulierte der erzürnte "Mundl" in Richtung eines alten Fotos, das den medaillenbehängten Großvater - eine Gewichtheber Legende - zeigte. Das war meine zweite Annäherung an diesen Sport.

Vor etwas mehr als zwei Wochen bekam ich ein Rundmail der Ö1 Online-Redaktion. Gesucht wurden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Kolumnen über eine der insgesamt 37 Olympischen Disziplinen schreiben. Meine Entscheidung war klar:

"Es kann nur Gewichtheben sein" - eine Sportart, die heute diskriminiert und von medialer Dauerabstinenz gestraft, nur noch ein Schatten der Oberschenkelweite ihrer Protagonisten ist. Früher war alles ganz anders.

Bilderwelten der 70er

Aus den Tiefen meiner kindlichen Erinnerung sind Fernsehbilder aufgestiegen - Männer in Frauenbadeanzügen. Dazu ein Gürtel der so breit war wie die Vorderreifen von Niki Laudas Formel-1-Boliden und Schuhe wie sie Muhammad Ali trug.

Noch interessanter wurde diese Fleisch gewordene Collage aus diversen Extremsportarten durch die leidliche Qualität des frühen 70er Jahre Fernsehens. Die immer gleiche Kameraeinstellung korrespondierte mit einer immer gleichen Moderation.

Liturgie des Hebens

Durch die rituelle Anordnung der maßgeblichen Heberutensilien konnte man sich zum Glück auch bei schlechtem Bildempfang - seherfreundlich - orientieren. Im Zentrum stand das Gewicht. Links daneben eine Schale, randvoll mit weißem Puder. Feierlich überhöht wurde dieses liturgische Szenario von einem in Falten gelegten Vorhang, der den Hintergrund ausfüllte. Durch ihn wurde das Allerheiligste der Veranstaltung vor neugierigen Blicken beschützt - der Gewichtheber.

Dem Höhepunkt entgegen

Je nach Gewichtsklasse - aber immer O-beinig - entstiegen die Recken dem muffigen Geruch der Umkleidekabine, um dann in das gleißende Licht der Scheinwerfer zu tauchen. Meist trugen sie Kotletten - dazu einen akkurat geschmalzten Scheitel.

Dann begann der rituelle Teil der Inszenierung. Demütig - vor der zu hebenden Last - mit leichter vorgebeugter Körperhaltung "wuschen" die Athleten ihre Hände im unschuldigen Weiß des Puders.

Spätestens hier kam es zur zweiten Normabweichung bei der Moderation. "Reißen" oder "Stoßen" - jetzt wurde das Geheimnis der Technik gelüftet. Die erst Normabweichung waren die unterschiedlichen Namen der Gewichtheber.

Der Akt

Das Zeichen der weißen Hände kündigte auch die nächste Stufe der Inszenierung an. Mit fester Hand wurde der Gürtel enger geschnallt. Ein Ritual von janusköpfiger Gestalt, das Zukunft und Vergangenheit im selben Maß in sich vereinte.

Athletische Bierbäuche wandelten sich in prä-gewichthebende Knabenstaturen. Gleichzeitig nahm diese Mutation der Körperlichkeit das digital animierte Hollywoodkino der Gegenwart vorweg. Spätestens hier orakelte der Moderator - je nach Statur des Sportlers - über die Schwere der Gewichte und die Chancen sie zu heben.

Die im Idealfall ein Längen - Breiten Äquivalent ergebenden Oberschenkel der Athleten wurden in eine Parallelhaltung gebracht - der verlängerte Rücken aerodynamisch in Richtung Boden gepresst.

Auf die Regeln kommt es an

Dann überschlugen sich die Ereignisse. Ein kurzer, fast atemloser Schrei. Ein Kopf aus dem die Adern quollen. Augen die sich zu Golfbällen weiteten. Je nach Technik - ob Reißen oder Stoßen - wurde die Last nun entweder in einem Zug - oder mit einem Zwischenstopp - auf dem Brustkorb gehoben.

Wer das schwerste Gewicht am längsten halten konnte, hatte gewonnen. Während ich das komplizierte Fußball-"Abseits" bis heute nicht verstanden habe, bot das Gewichtheben, neben seiner spirituellen Komponente, auch hier einen nicht zu unterschätzenden Vorteil - die Regeln sind einfach.

Andreas Wolf ist Moderator der Sendungen Radiokolleg, Ex Libris und Kunstradio. Obwohl er nie eine Gewichtheberveranstaltung live gesehen hat und auch keinen einzigen Gewichtheber namentlich kennt, interessiert ihn die metaphysische Komponente dieses Sportes. Irgendwo, zwischen den beiden Disziplinen "Reißen" und "Stoßen" verbirgt sich vielleicht etwas, das wir, die Gemeinschaft der Gelegenheitsgewichtheber, bisher versäumt haben - fragt sich nur was?

Links
Athen 2004
ORF.at - Spiele 04
Auch der schnöde Mammon lockte
Politische Aspekte der Olympischen Spiele
Die Zeit - Olympia Spezial
Österreichisches Olympia und Sport Museum