Höhepunkte der Internationalen Komponistentribüne

Baltische Frauenpower bei der "Komponistentribüne"

Eine ungeplante Demonstration musikalischer Frauenpower manifestierte sich bei der internationalen Komponistentribüne "Tribune internationale des compositeurs" in Paris. Der Wettbewerb wird von Radiostationen aus aller Welt präsentiert.

Helena Tulves Riesenwelle "Sula"

Der internationale Wettbewerb für neue Kompositionen, präsentiert von Radiostationen aus aller Welt, gelangte zu einem so unerwarteten wie erfreulichen Ergebnis: Aus über 70 Einreichungen wählte die Jury drei Werke aus und die Überraschung war groß, als sich herausstellte, dass ausschließlich Komponistinnen unter den Preisträgern sind und die Überraschung war noch eine Spur größer, als klar wurde, dass drei Radioproducerinnen diese drei Werke nominiert hatten: ein ungeplante Demonstration musikalischer Frauenpower manifestierte sich mit Musik von Helena Tulve, Santa Ratniece, Abigail Richardson und auch Tatjana Kozlova bei der Internationalen Komponistentribüne 2004 in Paris.

Östliches Europa dominiert

Noch eine zweite auffallende Gewichtung zeigt sich schon in den Namen der Komponistinnen: Lettland und Estland sind vertreten, letzteres auch mit einer Komposition eines Mitgliedes des russischen Bevölkerungsteiles, und zählt man die beim Wettbewerb ebenfalls weit vorn gereihte Onute Narbutaite aus Litauen noch dazu, ist die Präsenz von Komponistinnen aus Ländern des östlichen Europas beachtlich. Man kann sich auch noch daran erinnern, dass denselben Wettbewerb letztes Jahr in Wien die polnische Komponistin Hanna Kulenty gewonnen hat.

Auskomponierte Riesenwellen-Flutkatastrophe

Stilistisch ist das Spektrum allerdings weit: Unter den heuer prämierten Werken findet sich beispielsweise besonders feingliedrige Musik von Santa Ratniece, aber mit dem Hauptpreis wurde ein auf Überwältigung zielendes Werk ausgezeichnet, eine - und das meint die Komponistin Helena Tulve auch wirklich so - auskomponierte apokalyptische Riesenwellen-Flutkatastrophe.

Zwei der prämierten jungen Komponistinnen - Santa Ratniece und Tatjana Kozlova - sind Schülerinnen der selbst erst 32-jährigen Helena Tulve und das ist auch zu hören: Weniger in den Klängen selbst vielleicht, als in dieser Vorliebe für transformative Prozesse in der Musik, also dafür, dass klangliche Zustände immer die Tendenz haben, sich weiterzuverwandeln, sich ständig, manchmal auch unmerklich in einen anderen Aggregatszustand zu begeben.

Heißes Glas

Alles fließt und meist sind diese Metaphern mit etwas Bedrohlichem verknüpft. Die Flutwelle als Synonym für über die Menschen hereinstürzende gesellschaftliche Transformationen ist es bei Helena Tulve, letztlich ein durch und durch politisches Programm; das Bild von glühendem Glas ist es bei Tatjana Kozlova, biegsam aber gefährlich als Heißes, stabil aber zerbrechlich als Erkaltetes heißen die nicht minder politischen Metaphern zu dieser Komposition "Made of Hot Glass".

Implizit politisch an dem scheinbar so unpolitisch farben- und klangreich sich aufbauenden Werk von Helena Tulve ist diese Metapher der gesellschaftlich überwältigenden Veränderung. Explizit politisch, also auch in Helena Tulves eigenem Kommentar, ist diese musikalisch nacherzählte Geschichte vom riesigen Eisberg, der sich ganz langsam nähert, um schließlich zu schmelzen, alles zu überfluten und eine devastierte Erde zu hinterlassen; ein bewusst ökologisch gewähltes Bild.

Apokalyptisches Gerumpel

Irgendwie irreal ist diese Komposition zu Beginn, aber so real, dass es klingt wie der Soundtrack zu einem diesbezüglichen Horror-Film ist sie in der Mitte. Am Ende aber folgt ein sensibler Nachklang, als ob man den Nachhall des apokalyptischen Gerumpels auf der Erde vom Mond aus hören würde, der ferne Nachklang versunkenen Lebens.

Links
International Rostrum of Composers - Tribune internationale des compositeurs
International Music Council