Carlos Mesa trat als Präsident ein schweres Erbe an

Bolivien: Ein Land in Unruhe

Im vergangenen Oktober wurde Bolivien vier Wochen lang von heftigen Unruhen erschüttert. Präsident Gonzalo Sanchez de Lozada musste zurücktreten. Nachfolger wurde sein Stellvertreter Carlos Mesa, ein parteiloser Journalist und Historiker. Mesa trat ein schweres Erbe an.

Mit Bolivien verbinden die meisten nur die farbenprächtigen Musikgruppen, die sie in den Fußgängerzonen auch österreichischer Städte sehen. Die zweite Assoziation: Dünne Luft. Denn Bolivien ist die höchstgelegene Republik Südamerikas und hat das geringste Pro-Kopf-Einkommen des Kontinents. Bolivien ist zehnmal so groß wie Österreich, Einwohner hat es aber mit acht Millionen gleich viele.

Bolivien ist ein unruhiges Land. Im Lauf seiner Geschichte gab es mehr als 200 gewalttätige Angriffe auf seine Regierungen. Die geografische Lage von La Paz begünstigt Sabotageaktionen gegen die jeweilige Regierung. La Paz ist zwar nicht die Hauptstadt Boliviens. Jedoch sitzt hier die Regierung auf rund 4.000 Meter Höhe. Die Stadt zieht sich 30 Kilometer lang durch eine Schlucht, eingezwängt in den Anden. De facto nur über drei Strassen erreichbar. Blockiert man diese, ist der Regierungssitz abgeriegelt.

Verarmte Indios

Fünfundsiebzig Prozent der Bolivianer sind Indios. Viele von ihnen leben noch immer sehr stark nach ihrer traditionellen Kultur. Mehr als die Hälfte der Bolivianer siecht in unbeschreiblicher Armut dahin.

80 Prozent der Armen sind Indios. Sie werden als Menschen zweiter Klasse behandelt . Sie müssen mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen. Viele hausen bei frostigen Temperaturen in Quartieren ohne Heizung, ohne Wasser, ohne Strom.

Gequälte Bevölkerung rebellierte

Alles in allem: Eine gequälte Bevölkerung. Sie rebellierte im vergangenen Oktober mehr als drei Wochen gegen die herrschende Klasse, die offenkundig nicht mehr in der Lage war, die Probleme des Landes zu lösen.

Die indianischen Bauern und Bergarbeiter wehrten sich auch gegen eine Politik der neoliberalen Marktwirtschaft. Der Aufstand wurde zu einem der gewalttätigsten in der Geschichte des Landes. Der Anlass der Rebellion war das Vorhaben der bolivianischen Regierung, riesige Mengen Erdgas in die Vereinigten Staaten zu exportieren - über einen Hafen in Chile.

Im Oktober des vergangenen Jahres erhebt sich zehn Tage lang der Volkszorn: Die Millionen-Stadt La Paz wird durch Straßensperren komplett abgeschnitten und der Luftverkehr auf dem internationalen Flughafen in El Alto gestoppt.

Hungerstreik als Druckmittel

Als die Situation immer angespannter wird, ergreift die ehemalige Ombudsfrau von Bolivien, Ana Maria Romero de Campero, die Initiative. Als die Krise im Oktober drohte in einem Massaker zu enden, setzte sie ein Signal: Gemeinsam mit Intellektuellen, Künstlern und verschiedenen Vertretern der Mittelklasse ging Ana Maria Romero de Campero in Hungerstreik.

Damit setzte Romero de Campero der Regierung des Sanchez de Lozada ein Zeichen: Die Mittelschichten solidarisieren sich in einer ungewöhnlichen Allianz mit den Ureinwohnern. Der Druck der Massen auf der Straße wurde immer stärker, die Hungerstreikaktionen der Mittelschichten immer breiter. Als sich reihenweise Parlamentsabgeordnete, Militärs und Mitglieder der Regierung distanzierten, wurde auch der US-Botschaft klar, dass Sánchez de Lozada, den sie bis dahin unterstütz hatten, die Situation nicht mehr unter Kontrolle bringen konnte.

Vorerst ruhige Lage

Zumindest vorerst hat die Übernahme des Präsidentenamtes das Land beruhigt. Wie lange diese Ruhe anhalten wird, ist allerdings mehr als fraglich. An Protesten mangelt es nicht. Die Opposition macht weiterhin ihrem Unmut Luft. Hintergrund des Protests sind die tägliche Erfahrung mit der haarsträubenden Korruption und das Bewusstsein, Jahrhunderte lang durch die spanischen Eroberer und die eigene Oberschicht ausgeplündert worden zu sein.

Besonders Gold und Silber, später auch andere Bodenschätze mussten und müssen Minenarbeiter noch heute unter unmenschlichen Bedingungen aus der Tiefe holen. Von den Exporten der Rohstoffe hat die Landbevölkerung noch nie profitiert. Die Gewinne flossen ausschließlich in die Taschen von Ausländern und einer mageren Oberschicht. Die Bevölkerung traut ihren Politikern nicht mehr.

Kein Rückhalt im Parlament

Durch seine politische Unabhängigkeit fehlt dem Präsidenten auch der Rückhalt im Parlament. Sollte Mesa die Forderungen der Protestbewegung nicht schnell umsetzen, könnte das Präsidentenamt auch für ihn das werden, was es für viele seiner Vorgänger war: Ein Schleudersitz.

Links
Bolivien - CIA World Factbook
Bolivianische Regierung