Die Vergessenen des Bosnien-Kriegs
"Bauern helfen Bauern"
Über fünf Milliarden US-Dollar an internationaler Hilfe sind seit dem Ende des Krieges nach Bosnien geflossen. Doch noch immer treffen die Mitarbeiter des Salzburger Vereins "Bauern helfen Bauern" zahlreiche Menschen, die in Ruinen oder in Zelten hausen.
8. April 2017, 21:58
Plötzlich sind sie wieder da - die Bilder des Elends aus den Werbespots für "Nachbar in Not". Wer acht Jahre nach dem Krieg mit Doraja Eberle, der Gründerin der Salzburger Hilfsorganisation "Bauern helfen Bauern" in die Bergdörfer um die ostbosnische Stadt Srebrenica fährt, bekommt sie noch immer zu Gesicht: die zerschossenen Häuser, die zerstörten Schulen und Krankenhäuser, die entvölkerten Dörfer und die Menschen, die noch immer in Ruinen oder in Zelten leben.
Schon 600 Blockhäuser gebaut
Seit zwölf Jahren engagiert sich Doraja Eberele im ehemaligen Jugoslawien. 1992, als der Krieg in Kroatien begann, konnte sie nicht untätig bleiben. "Es war einfach zu nahe an Österreich." Sie reist ins Kriegsgebiet und erfährt, dass sich die Menschen nichts sehnlicher wünschen, als wieder unter dem eigenen Dach zu leben.
Bei Thomas Gottschalk in "Wetten, dass" sieht Doraja Eberle, dass 100 Männer in 100 Stunden 100 Holzhäuser bauen können. Am nächsten Tag ruft sie die flinken Häuslebauer an. Ein Haus, das sechs Personen Platz bietet, kostet 3000 Euro und ist in fünf Tagen gebaut. Das Holz für die ersten Häuser kommt noch aus Österreich, heute kauft man es vor Ort. Rund 600 Blockhäuser konnte der Verein "Bauern helfen Bauern" bis heute übergeben.
Steter Fluss von Sachspenden
Gute Kontakte zu Unternehmern sichern den steten Fluss von Sachspenden. Der oberösterreichische Möbelhersteller Prenneis beispielsweise hat bisher schon rund 200 Einrichtungen für die Holzhäuser gespendet. Und die Tatsache, dass Doraja Eberle sich auch auf internationalem Parkett überzeugend bewegen kann, hat dem Verein nicht nur den diesjährigen renommierten Peace Building Award des East West Institute eingebracht, sondern den Menschen in Bosnien viele Spender auf der ganzen Welt.
Im August zum Beispiel sprach Doraja Eberle in Lausanne vor einer internationalen Managergruppe, die von ihrer Arbeit so begeistert waren, dass sie spontan 22 Häuser spendeten.
"Train of Hope"
Doraja Eberle hat es 1999 geschafft, den ersten Zug nach dem Krieg als "Train of Hope" in Richtung Sarajewo fahren zu lassen, beladen mit 900 Tonnen Lebensmittel, die ihr die US-Armee in Deutschland überlassen hatte.
Und schließlich gelang Doraja Eberle 1997 mit ihrem selbstbewussten Auftreten ein Meisterstück: Sie konnte einen SFOR-General überzeugen, dem Verein als einziger Hilfsorganisation dreimal pro Jahr zollfreie Transportmöglichkeiten in die Einsatzgebiete bereitzustellen. Über 50 000 Bananenkisten, die Spender für die Menschen in Kroatien oder Bosnien mit Lebensmitteln gepackt haben, konnten so zugestellt werden.
Kritik an internationalen Hilfsorganisationen
Doraja Eberele kritisiert die großen internationalen Hilfsorganisationen. "Wenn das Geld für Bosnien richtig eingesetzt worden wäre, müsste heute jeder ein Dach über dem Kopf haben."
Tatsächlich sind viele Mittel in Maßnahmen investiert worden, die keinen erkennbaren Nutzen bringen. Mit Beginn 2004 wird die internationale Unterstützung drastisch zurückgehen. Man spricht von "balkan fatigue" von der Balkanmüdigkeit der Geberländer. Haben sie in den vergangen Jahren jeweils 750 Millionen Dollar für Bosnien locker gemacht, so wird ab 2004 nur noch ein Fünftel dieses Betrages zur Verfügung stehen, also rund 150 Millionen Dollar pro Jahr.
Die Arbeitslosigkeit in Bosnien-Herzegowina beträgt etwa 40 Prozent, was dazu führt dazu, dass laut einer Studie der Vereinten Nationen ein Viertel der Jugendlichen lieber heute als morgen ihrer Heimat für immer den Rücken kehren würde. Weitere 40 Prozent würden gerne zumindest vorübergehend im Ausland arbeiten. Der junge Besnik bringt das auf eine knappe Formel: "Ich sehe hier für mich keine Perspektive mehr. Unsere Träume sind begrenzt hier."