Anekdoten aus der Welt der Popmusik

We will rock you!

Ob Lou Reeds "Walk on the Wild Side" oder Pink Floyds "Another Brick in the Wall": Intention der Texte und Projektion der Hörer sind oft grundverschieden. Da kommt dieses Lexikon gerade recht, mit Wissenswertem über Autoren und Interpreten berühmter Liedzeilen.

Günther Fischer und Manfred Prescher wollen die Leute wieder zum Rocken bringen

"Bobby Brown" ist der bekannteste und im deutschen Sprachraum erfolgreichste Song von Frank Zappa. 1979 veröffentlicht, beruht seine Popularität wohl mehr auf der eingängigen Melodie als auf dem Text. Denn was Zappa nach dem einleitenden "Hey there people, I'm Bobby Brown" seinem Protagonisten in den Mund legt, ist mit üblicher Hitparadenlyrik nicht vergleichbar - und für Minderjährige kaum geeignet.

Kurt Ostbahn auf Zappas Spuren

Der Song, der in Großbritannien und den USA ganz oben auf den Index-Listen der Sender steht, in Deutschland aber - völlig unbeanstandet - 15 Wochen in den Top Ten war, sei der Beweis dafür, dass "die Deutschen mit dem Englischen so ihre Probleme haben", schreiben Günther Fischer und Manfred Prescher in ihrem "Lexikon berühmter Popsongs". Das belegt auch eine von Fischer und Prescher zitierte Episode. Als Zappa, zu Gast in Thomas Gottschalks Radioshow in "Bayern 3", eine eigens mitgebrachte deutsche Version auflegte, wurde sie nur 20 Sekunden später wieder vom Plattenteller genommen: Hardcore, für Teenager-Ohren ungeeignet.

Nicht anders ging es 13 Jahre später Ostbahn-Kurti mit "Bertl Braun", dem österreichischen Bruder von Bobby Brown. "Mit ana Spindl im Oasch macht das Leben erst Sinn" war ein Bekenntnis, das Ö3 damals nicht unters Volk bringen wollte.

Eine Geschichte voller Missverständnisse

Man sieht: Die Geschichte des Pop ist eine Geschichte voller Missverständnisse, eine Geschichte der überraschenden Entdeckungen, unerklärlichen Erfolge und abenteuerlichen Rezeption. Ob Lou Reeds "Walk on the Wild Side" oder Pink Floyds "Another Brick in the Wall": Intention der Texte und Projektion der Hörer sind oft grundverschieden. Da kommt ein Buch wie "We will rock you!" gerade recht, ein "Lexikon berühmter Popsongs" mit Wissenswertem über Autoren und Interpreten berühmter Liedzeilen.

Klassiker von A bis Z

Überschrieben mit den Songzeilen von Popsongs, die Klassiker geworden sind, und gegliedert nach dem Alphabet der Liedtitel, schreiben Fischer und Prescher in ihrem Lexikon über Songs und Songwriter, die Geburtsstunden der Hits und die Karrieren ihrer Väter; Geschichten, mal mehr, mal weniger originell, aber stets kurzweilig und informativ und frei von selbstgefälligem Insidertalk. Popgeschichte als Spiegel der Zeit.

Dabei wird der Bogen gespannt von "A Whiter Shade of Pale", eingespielt im Keller einer Methodistenkirche von einer Band, die später erst als "Procol Harum" bekannt wurde, bis zu Bing Crosbys Schnulze "White Christmas", mit 30 Millionen Exemplaren der meistverkaufte Song aller Zeiten, und zu Eminems Rap-Ballade "Cleaning out My Closet", einer Abrechnung des Sängers mit seiner Mutter, die den Filius wegen Beleidigung auf zehn Millionen Dollar Schadenersatz verklagte.

Der beinahe verpasste Hit

Dass Iron Butterflys Acid-Rock-Hymne "In-A-Gadda-Da-Vida" eigentlich "In the Garden of Eden" heißen sollte, vom einem sturzbetrunkenen Leadsänger aber in dadaistischen Silbenmüll verwandelt wurde, ist sicher eine ebenso hübsche Marginalie wie der Hinweis, dass Chuck Berrys größter Hit, "My Ding-A-Ling", eine Ode an den Penis ist, während es sich bei "I Can't Get no Satisfaction" weniger um das Bekenntnis sexueller Unersättlichkeit handelt, als um Kritik am Massenkonsum, wie die Lexikonverfasser meinen, die zum Stones-Hit noch eine weitere Fußnote liefern.

"Eine Geschichte, die kaum jemand kennt, ist, dass Jagger und Richards, dagegen waren, dass dieses Lied auf das Album kommt und eigentlich auch dagegen, dass die Plattenfirma diesen Song als Single auskoppelt. Es hat ihnen nicht gefallen, d.h. die beiden hätten beinahe ihren größten Hit selbst verhindert."

Anekdoten-Fundgrube

Die Autoren des Poplexikons warten nicht immer mit Kuriosa und Enthüllungen auf, sondern gelegentlich mit nicht viel mehr als schlichten, aber durchaus aufschlussreichen Übersetzungen von Songs. Die Auswahl der Lieder wird dabei nicht jedermann gefallen. Warum sind Lou Bega oder die Spice Girls mit Songs vertreten, nicht aber Joni Mitchell und Billie Holiday, Tom Waits und Grateful Dead? Das Buch erhebt den Anspruch, ein halbes Jahrhundert Rock- und Popgeschichte zu beleuchten, nicht aber den, dies lückenlos zu tun.

"We will rock you!" ist kein Lexikon für Insider. Die werden vielleicht längst wissen, dass "Dancing Queen" von Abba als Hochzeitslied für das schwedische Königspaar entstand und "Smells Like Teen Spirit" von Nirvana den späteren Tod ihres Sängers Kurt Cobain vorwegnahm. Alle anderen aber werden durch den Band, eine Fundgrube an Kommentaren, Randbemerkungen und Interpretationsvorschlägen, das vermeintlich Vertraute mit neuen Augen sehen - bzw. anderen Ohren hören.

Buch-Tipp
Günther Fischer, Manfred Prescher, "We will rock you! Lexikon berühmter Popsongs", Eichborn Verlag 2003, ISBN 3821839910