Cornelius Obonya liest aus Bernhard-Texten

Bernhards "lebenslängliche große Liebe"

Seit Jahren äußern sich Journalisten und Autoren über Thomas Bernhards Texte oft mit sinnentleerten Begriffen - wie z. B. über seine "musikalische Prosa". Eine Korrektur mancher Plattitüden versucht Peter Kislinger in der "Musikgalerie".

Über Thomas Bernhard und seine Texte äußern sich Journalisten und Schriftsteller seit Jahren ohne wesentlichen Erkenntnisgewinn - mit sinnentleerten Begriffen wie: "Die autobiografischen Romane", der "Skandalautor" oder, neuestens, der "ehemalige Skandalautor", "der noch immer umstrittene Autor" und "die musikalische Prosa." Die "Musikgalerie" versucht nun eine andeutungsweise Korrektur.

Falsche Einschätzung

Bernhards Texte seien also "musikalisch", wird behauptet, oft geraunt. Musik, verstanden entweder als ein auf den Verstand verzichtendes, lustvolles Sich-treiben-lassen im tönenden Strom der Rede oder als einlullende Benebelung des Gehirns mittels inhaltsleerer Plattitüden. "Hinter beiden Vorurteilen steht," so die Germanistin, Musikwissenschafterin und Musikerin Gudrun Kuhn, "eine falsche - wenn auch durch die zeitgenössische Berieselungspraxis fatal bestätigte - Einschätzung von Musik."

"Korrektur" im Sinne Roithammers

Was ist an den erzählenden wie dramatischen Texten "musikalisch", wenn der Begriff "musikalisch" nicht bloß "irgendwie" verwendet werden soll? Die Form? Der Inhalt, weil über Musik und Musiker - pauschal - geredet wird? "Musikgalerie" versucht eine Andeutung und eine Korrektur im Sinne Roithammers in Bernhards "Korrektur":

"Musikhören war ihm gleichbedeutend gewesen mit Musikstudieren und so war, wenn er Musik hörte, dieser Vorgang nicht nur einer, der ihn durch das Mittel des gehörten immer in eine gehobene Stimmung versetzte, sondern durch Hören und Studieren zugleich in Nachdenklichkeit versetzte."

Mögliche Steigerungen

Wenn auch Bernhard-Lektüre, dem Inhalt zum lustvollen Trotz, in "eine gehobene Stimmung" versetzt, dann kann dieses, analog zu Roithammers Musikverständnis, gesteigert werden und in Nachdenklichkeit versetzen. Nicht aufgrund des Inhalts, sondern - wie beim Singen den Sänger selbst - mittels des Lesens und der Form.

" ... wie Spielzeug"

Hiezu ein Fingerzeig Bernhards: "Das sind die Sätze, Wörter, die man aufbaut. Im Grunde ist es wie Spielzeug, man setzt es übereinander, es ist ein musikalischer Vorgang."

Chiffrierte Entsprechung zu Bach

Die von manchen, darunter auch Bernhard, so gerne geschmähte Germanistik hat etwa in "Der Untergeher" eine von der Struktur bis in die Textur gehende minutiös chiffrierte Entsprechung zu J. S. Bachs "Goldberg-Variationen" und zu Bach selbst nachvollziehbar beschrieben.

Kuhns Studie zu Bernhard und Brahms

Gudrun Kuhn hat eine Studie zu Bernhard, Brahms und zu beider "entwickelnden Variationsstil" vorgelegt, die Bernhard gerechter wird als feuilletonistische Bernhard-Hagiografie, pseudo-biografische Spurensuche oder noch so virtuose Bernhard-Beschimpfungen. Was Roithammer andeutet, hat sie anhand einer Passage aus "Verstörung" und dem Finale der Sinfonie Nr. 4. von Brahms Satz für Satz, Takt für Takt, analysiert - vergnüglich nachzulesen und zu hören in der "Musikgalerie".

Bernhards höheres Wissen über Musik

"Du übertreibst, sagte das Fenster zum Mikroskop, als draußen im Lande die Pest wütete," heißt es in den Sudelbüchern G. Ch. Lichtenbergs. Und so nützt Bernhard, wie Nietzsche auch, das Stilmittel der Hyperbole, der Übertreibung. Die Beschimpfung (von Autoren, Malern und Komponisten) geht nicht unbedingt gegen die Genannten, sondern gibt einen Stupser:

Vom bildungsbeflissenen Nachplappern und Wegträumen zum bewussteren JA. Die Suada des "Bildermenschen" Reger gegen Beethoven in "Alte Meister" und gegen die "schönsten Werke" Beethovens etwa funktioniert so. Der Autor weiß, nicht nur hier, mehr und anderes (über Musik) als seine Figuren.

Mehr dazu in oe1.ORF.at

CD-Tipp
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Tipp
Gudrun Kuh, "Entwickelnde Variation: Thomas Bernhard als schreibender Hörer von Johannes Brahms", In: "Joachim Hoell und Kai Luehrs-Kaiser (Hrsg.): Thomas Bernhard - Traditionen und Trabanten", Würzburg 1999, S. 177-193.

Link
Thomas-Bernhard-Gesellschaft