"Canti ed Incanti" - Ausgewählte Frottole
Frottole - ein Strauß musikalischer Schätze
Im 15. Jahrhundert dominierte in Europa die franko-flämische Vokalpolyphonie. In Italien entstand durch den flämischen Einfluss eine eigene Musik-Kultur. Zu den ersten Stätten der neuen Richtung zählte besonders jener von Isabella dEste in Mantua.
8. April 2017, 21:58
In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts dominierte in ganz Europa die franko-flämische Vokalpolyphonie mit ihrer grandiosen Kontrapunktik, in der meisterhafte Technik mit größter Spiritualität verschmolz. In Italien hat der flämische Einfluss, nach der lange vergangenen "Ars nova" in aller Stille und dauerhaft aufgenommen, eine selbständige musikalische Kultur begründet, die das Land im Verlauf weniger Jahrzehnte in eine glanzvolle Renaissance führte.
Neue Musik-Kultur in Nord-Italien
Die ersten Stätten dieses Erwachens waren die Höfe der norditalienischen Stadtstaaten, besonders jener von Isabella dEste in Mantua, wo Komponisten wie Marchetto Cara und Bartolomeo Tromboncino die ersten Keime zu höchster musikalischer Kultur legten. Isabellas musikalische Neigungen waren geprägt durch ihre Kindheit und Jugend am herzöglichen Hof ihres Vaters Hercole dEste in Ferrara.
Musik als Herrschaftssymbol
Dieser wusste genau um die politische Bedeutung eines großen musikalischen Haushalts als Herrschaftssymbol und beschäftigte sowohl eine Cappella als auch eine Gruppe von Hofmusikern unter der Leitung des Brabanter Komponisten Johannes Martini. Dieser war darüber hinaus für die musikalische Unterweisung von Hercules Kindern zuständig, und Isabella erhielt Lauten-, Gesangs- und Cembalounterricht.
Isabella, eine musikalische Begabung
Zeitgenössische Urteile über das Talent aristokratischer Dilettanten sind oft eher schmeichelhaft als wahrheitsgetreu, aber Isabella scheint tatsächlich musikalische Begabung besessen zu haben.
Nach ihrer Heirat mit Francesco Gonzaga von Mantua im Jahr 1490 verwandelte sie den relativ bescheidenen musikalischen Haushalt der Gonzagas nach dem Vorbild des väterlichen Hofs und bat sogar darum, ihr den alten Lehrer Martini leihweise zu überlassen. Und im Jahr 1499 wurde auch sie - wie ein Brief bezeugt - von der neuesten musikalischen Mode des Hofs von Ferrara ergriffen: Consorts der neuen Viola in "allen Größen dieser Welt", wie ihr Bruder Alfonso es in einem Brief ausdrückte (...) Ein wesentlicher Aspekt in der Rolle Isabella dEstes als Musik-Mäzenin: Sie war nicht nur Zuhörerin, sondern auch Interpretin.
... aber keine Blasinstrumente
Isabella begann Lauten, Viole und Tasteninstrumente für sich und ihre Musiker zu erwerben - aber ganz sicher keine Blasinstrumente. Zwar beschäftigte sie Piffari (Pfeifer) und ließ ihre Gemächer im Palast von Mantua mit Intarsien von Blasinstrumenten schmücken, aber es wäre ihrem Wesen und nach damaligem Brauch auch ihrem Geschlecht höchst unangemessen gewesen, selbst Flöte oder Blockflöte zu spielen (...), und ihr Rang verbot es ihr, etwa mit dem Krummhorn oder der Schalmei zu musizieren.
Die Viola als Entsprechung
Im Kampf zwischen dem Flötenspieler Pan und dem Leierspieler Apollo stand Isabella ganz und gar auf der Seite des mythischen Lyra-Spielers, und für sie war die Viola diesbezüglich die beste Entsprechung. Apollo sang zur Lyra, und die Viola entwickelte sich nicht nur zum bevorzugten Medium aristokratischer Instrumentalmusik, sondern auch zur idealen Gesangsbegleitung. Unter Isabellas Förderung entwickelte sich die Tradition des improvisierten Liedes zur neuen Kunstform der notierten Frottola, bei der der Sänger von einer Lira da braccio (in direkter Imitation des Apollo) oder einer Laute, gelegentlich auch von einer zwischen zwei, drei oder vier Viole aufgeteilten Streicherbegleitung begleitet wird.
Castiglione geriet ins Schwärmen
Und es waren wohl solche Stücke, von denen Baldassare Castiglione in seinem berühmten Benimmbuch "Il Cortegiano" (Der Höfling) schwärmt: "Über alles herrlich aber erscheint mir der von der Viola begleitete Sprechgesang, und es ist ein großes Wunder, wie die Worte dabei an Wohllaut und Wirkung gewinnen."
Frottola - ein Strauß erfreulicher Dinge
Die Gattungsbezeichnung Frottola, vermutlich vom mittellateinischen Wort frocta abgeleitet, bedeutete ursprünglich ein Sortiment oder einen Strauß von erfreulichen Dingen, in diesem Falle von Versen. Der venezianische Musikverleger Ottaviano Petrucci verwendete "Frottola" in seinen elf Büchern weltlicher italienischer Vokalmusik (1504-14) hingegen als Sammelbegriff für viele verschiedene in Musik gesetzte Dichtungsformen:
Barzelletta, Strambotto, Sonett, Capitolo, Oda, Canzone, Villota, Canto carnascialesco, Giustiniana und viele andere, die alle in dem für dieses Konzert relevanten Zeitraum (etwa 1450-1530) ihre Blüte erlebten.
Meist anonyme Kompositionen
Verschiedene Chansonbücher des späten 15. Jahrhunderts, die vorwiegend Werken niederländischer Komponisten gewidmet sind, enthalten mehrstimmige, meist anonyme Kompositionen mit weltlichen italienischen Liebestexten, wahrscheinlich von italienischen Meistern komponiert; einige wenige stammen auch aus dem Norden. Diese Stücke sind die frühesten schriftlichen Fassungen der Frottola. Die meisten von ihnen müssen sehr bekannt gewesen sein, denn in den 1480er Jahren sang man nach ihren Weisen auch Lauden.
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Isabella d'Este