100 Jahre Verlagsgeschichte

Ullsteinroman

Sten Nadolny hat schon immer einen Roman über das komplexe Gebilde Familie schreiben wollen. Als ihm zu Ohren gekommen ist, dass der Ullstein-Verlag einen Roman über die Verlagsgründer herausbringen will, hat er sich als Verfasser angeboten.

Ein Jahr lang hat der gelernte Historiker Sten Nadolny die Geschichte der Familie Ullstein recherchiert: Er hat mit Nachfahren gesprochen, Tagebücher und Briefe gelesen, in Archiven gestöbert und Presseerzeugnisse aus dem Hause Ullstein studiert.

Von 1835 bis 1935

Der Roman spielt in den 100 Jahren zwischen 1835 und 1935. Der wichtigste Schauplatz ist Berlin. Die Handlung verläuft großteils chronologisch. Eingefügt sind kurze Biografien von Familienmitgliedern und Personen, die im Ullstein-Verlag eine wichtige Rolle gespielt haben. Die Charaktere bleiben dennoch meist wenig fassbar.

Auf den letzten Seiten des Buches findet sich ein Stammbaum der Familie Ullstein, der für den Leser immer unentbehrlicher wird, je mehr Familienmitglieder im Laufe des Romans ins Spiel gebracht werden. Die Eckdaten der Figuren und Ereignisse stimmen mit den Fakten überein. Dialoge und Nebenfiguren sind meist frei erfunden.

Ullsteins Kapital: seine fünf Söhne

1877 erwarb der gelernte Papiergroßhändler Leopold Ullstein das "Neue Berliner Tageblatt". Weitere Übernahmen und Neugründungen folgten. Sten Nadolny lässt den schärfsten Konkurrenten von Leopold Ullstein feststellen: "Ullstein hat ein Kapital, gegen das ich auf Dauer nicht ankomme: seine fünf Söhne".

Zum von Leopold Ullstein begründeten Medien-Imperium gehörten etwa die "Berliner Zeitung", die "Berliner Morgenpost" und die "Vossische Zeitung", das publizistische Flaggschiff des Ullstein-Verlags. 1903 wurde ein Buchverlag gegründet, um die in den Ullstein-Zeitungen abgedruckten Fortsetzungsromane auch in Buchform herauszubringen. Mit dem 1928 erschienenen Roman "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque feierte der Ullstein-Buchverlag einen seiner größten Erfolge.

Die Athmosphäre eingefangen

Der "Ullsteinroman" ist ein historischer Roman. Sten Nadolny hat sich bemüht, die Atmosphäre der beschriebenen Zeit einzufangen und die Figuren dementsprechend denken und handeln zu lassen.

Sten Nadolny erzählt aus der Perspektive eines allwissenden Erzählers. In einigen Passagen tauchen auch verschiedene Icherzähler auf, verstorbene Familienmitglieder, und einmal spricht auch der Autor selbst.

Opfer des Nationalsozialismus

Der Antisemitismus ist von Beginn an ein zentrales Thema. Die jüdische Verleger-Familie Ullstein hat Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts innerhalb weniger Jahrzehnte das größte Medienimperium Deutschlands aufgebaut. Ende der 20er Jahre wurde es von einem heftigen Familien-Streit durchgerüttelt. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurden die Familienmitglieder gezwungen, sich aus dem Verlag zurückzuziehen und ihre Anteile um ein Zehntel des wahren Wertes zu verkaufen. "Ziemlich spät", wie Sten Nadolny schreibt, gelang ihnen die Flucht ins Ausland.

Klare Worte findet Sten Nadolny für die "Arisierungen" und die Restitutionspolitik nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Im Gegensatz zu vielen anderen gelang es der Familie Ullstein nach dem Krieg, das, was von ihrem Besitz übrig geblieben war, zurückzubekommen.

Die Freiheit des Roman-Autors

Da Sten Nadolny seinen Roman gegen Mitte der 30er Jahre enden lässt, erfährt man nicht, was aus den einzelnen Zeitungen, Zeitschriften und Buchverlagen geworden ist und in welcher Form sie heute noch existieren. Der Ullstein-Verlag, wie es ihn bis 1933 gegeben hat, und der Verlag, der heute unter dem Namen Ullstein firmiert, haben nur noch den Namen gemeinsam.

Der "Ullsteinroman" ist kein Sachbuch. Sten Nadolny wollte nicht einfach nur die Geschichte der Verleger-Familie Ullstein nacherzählen. Er hat sich der Freiheiten des Roman-Autors bedient und nur über das geschrieben, was ihn interessiert. Herausgekommen ist ein sehr faktenreiches und unterhaltsames Werk über die Verleger-Dynastie Ullstein und das komplexe Gebilde Familie, allerdings auch ein etwas vordergründiges.

Buch-Tipp
Sten Nadolny, "Ullsteinroman", Ullstein-Verlag, ISBN: 3-550-08414-5