Psychogramm einer untergegangenen Nation

Landnahme

Christoph Hein gilt als genauer Beobachter und als Chronist ostdeutscher Befindlichkeiten. Auch sein jüngster Roman "Landnahme" ist viel mehr als nur die Lebensgeschichte der Hauptfigur Bernhard Haber...

Christoph Hein über seine Jugendjahre

Der Schriftsteller Christoph Hein gilt als einer der besten Erzähler der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Schon vor mehr als 20 Jahren hat er mit seiner Novelle "Drachenblut" Kritiker auf der ganzen Welt begeistert. In seinem neuen und bisher umfangreichsten Roman "Landnahme" erzählt er die Geschichte von Bernhard Haber, der nach Kriegsende gemeinsam mit seinen Eltern aus der alten Heimat Schlesien vertrieben wird und in einer spießigen ostdeutschen Kleinstadt landet.

Dort wird Bernhard Haber Zeit seines Lebens angefeindet und ausgegrenzt. Ganz nebenbei erfährt der Leser dabei mehr über das Alltagsleben in der DDR als in so manchem Geschichtsbuch. Christoph Hein ist selbst bis zur Wende in der DDR geblieben und hat dort geschrieben und publiziert. Heute lebt Hein, der letztes Jahr mit dem Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur ausgezeichnet worden ist, im Osten Berlins.

Bitterkeit und Zynismus

Gewöhnlich sind es keine starken und mutigen Menschen, die Christoph Hein zu seinen Helden macht, sondern Charaktere die sich in Bitterkeit und Zynismus flüchten, um nicht verletzt zu werden. Auch in Heins jüngstem Roman "Landnahme" steht eine solche Figur im Mittelpunkt.

Bernhard Haber kommt als Kind von Umsiedlern in die fiktive ostdeutsche Kleinstadt Bad Guldenberg. Dort schlägt im nichts als Misstrauen und Hass entgegen, die Flüchtlinge werden hinter ihrem Rücken heimlich als "Polacken" beschimpft. Kaum hat Bernhard Habers Vater, der in der Kriegsgefangenschaft einen Arm verloren hat, seine Tischlerei eröffnet, fällt die Werkstatt einem Brandanschlag zum Opfer. Bernhard Habers geliebter Hund Tinz wird mit einer Drahtschlinge erwürgt.

Ausgegrenzter Schriftsteller

Das Gefühl der Ausgrenzung, das Christoph Hein beschreibt, hat durchaus auch autobiographische Wurzeln: "Ich war Kleinkind, als ich als Schlesier in dieser Kleinstatt ankam, war also ein Vertriebenen-Kind", erinnert sich der Schriftsteller.

"Dann war ich Pfarrerssohn, was in der DDR auch Außenseiterdasein bedeutete und nicht wohlgelitten war. Dann haute ich ab. Mit 14 Jahren ging ich nach West-Berlin. Da war ich natürlich ein Ostdeutscher in West-Berlin, gehörte auch nicht so richtig dazu. Danach wurde ich wieder eingefangen in der DDR. Danach war ich also nicht nur Pfarrerssohn, sondern auch ein Abgehauener. Insofern war die Außenseiterposition bei mir angelegt."

Kein Buch über Vertreibung

Die Frage, ob die aktuellen politischen Diskussionen über die deutschen Vertrieben nach dem zweiten Weltkrieg seinen Roman beeinflusst hätten, verneint der Schriftsteller: "Ich habe das Buch 1999 angefangen zu schreiben. Dass es jetzt in ein politisch aufgeheizteres Klima reinkommt, das überrascht mich auch. Ich spreche nicht über die Flucht und die Vertreibung oder über die Vorgeschichte. Ich spreche ausschließlich über die Nachgeschichte."

40 Jahre DDR-Geschichte

In Landnahme erfährt man als Leser nicht nur von der Lebensgeschichte eines ewig Ausgegrenzten, der sich am Ende zwischen Rache oder Anpassung entscheiden muss. Christoph Hein beschreibt - wie nebenbei - auch 40 Jahre DDR-Geschichte.

Bernhard Habers erste Freundin erinnert sich zum Beispiel daran, wie der junge Mann, der sich zuvor nie für Politik interessiert hat, plötzlich zu den Agitatorentrupps gehört, die die Bauern dazu zwingen, ihr Land an die Genossenschaften abzutreten.

"Bin kein Richter"

Dabei verzichtet Christoph Hein ganz bewusst darauf, seine Figuren klar als Täter oder Opfer zu beschreiben: "Die Wertung der Figuren würde ich gerne dem Leser überlassen. Das hat mit meinem Selbstverständnis des Berufes des Schriftstellers zu tun - dass ich nach Möglichkeit genau beobachte, auch mitleidslos berichte, aber nicht als Richter", betont Hein. "Ich möchte eine genaue Mitteilung über meine Umgebung machen, über die kleine Welt, in der ich lebe. Aber ohne Wertungen und ohne Moral."

Diese Rolle wird ihm auch von seinen Kritikern zugebilligt - Christoph Hein gilt als genauer Beobachter - als Chronist ostdeutscher Befindlichkeiten. Auch sein jüngster Roman "Landnahme" ist viel mehr als nur die Lebensgeschichte der Hauptfigur Bernhard Haber - Christoph Hein hat weit darüber hinaus ein Psychogramm der untergegangenen DDR entworfen.

Buch-Tipp
Christoph Hein, "Landnahme", Suhrkamp-Verlag 2004, ISBN3518416014