Schuld und Sühne
Das Gewissen
Wenn vom Gewissen die Rede ist, fällt vielen automatisch das Adjektiv "schlecht" ein: Gefühle des Mangels und der Schuld werden üblicherweise mit dem Gewissen assoziiert. Gefühle, die - wenn sie andauern - einem das Leben vermiesen können.
8. April 2017, 21:58
Wer heute vom Gewissen spricht, der muss damit rechnen in eine der folgenden Schubladen eingeordnet zu werden:
- Idealistischer Weltverbesser - da ist man noch mit einem blauen Auge davon gekommen.
- Ein skrupelbehafteter Mensch, der von einem totalitären Über-Ich geplagt wird - da wird es schon unangenehm persönlich oder
- Ein anachronistischer Moralapostel - dann ist man ganz daneben und hat die Zeichen der Zeit verschlafen.
Der Rufer in der Wüste
Das Gewissen steht in keinem so guten Ruf: Vielleicht weil es selbst ständig ruft und sich in den unpassendsten Situationen unseres Lebens einfach aufdrängt - ungefragt. Doch, wer solches bei sich bemerkt, hat immerhin eines, bzw. ist sich dessen bewusst: ich bin ein Mensch mit einem Gewissen, vor dem das, was ich tue gerechtfertigt werden muss.
Das alltägliche Gewissen ruft sich oft als ein schlechtes in Erinnerung und ehrlich: Wer will gerne unfreiwillig kritisiert werden, so kurz nach dem Aufstehen oder gar zuvor schon im Traum?
Definition des Gewissens
Traditionell wird Gewissen definiert als das für einen Menschen verbindliche Werte-System, welches ihm ermöglicht, unabhängig von äußeren Maßstäben zu sittlichen Fragen selbständig Stellung zu nehmen und diese selbst zu bewerten. So und in Abwandlungen sagen es Ethik-Lexika.
Im Griechischen heißt Gewissen Synteresis, lateinisch Con-scientia. Beide Wortwurzeln bedeuten übersetzt ein Mit-Wissen, ein Zusammmen-Wissen. Wir verstehen uns mit anderen gemeinsam auf die Dinge unserer Lebenswelt.
Die Gewissensbildung
Die Aufgabe sein Gewissen zu bilden ist heute weit anspruchsvoller als in früheren Jahrhunderten. Denn viele Entscheidungen verlangen eine detaillierte Sachkenntnis und die Berücksichtigung verschiedener Blickwinkel und Situationen, damit man der zu entscheidenden Sache einigermaßen gerecht wird.
Man kann sogar von einem Zwang zur Gewissensentscheidung sprechen, der als logische Konsequenz aus der pluralistischen offenen Gesellschaft folgt. Denn der postmoderne Mensch hat es nicht nur mit einer Moral zu tun. Unter dieser Vielfalt muss das Gewissen auswählen auch mit dem Risiko von diesem Zwang zur Auswahl überfordert zu sein.
Spüren und fühlen
Das Phänomen des Gewissens als Anspruch ist universal, kulturell übergreifend. Doch inhaltlich ist das Gewissen von der jeweiligen Kultur geprägt. Es kann deshalb bei gleicher Fragestellung zu ganz unterschiedlichen Schlüssen kommen.
Das Gewissen beruht zwar auf einem Wissen, aber dieses wird - wenn man auf die eigene Erfahrung zurückgeht - durch ein Spüren und Fühlen wachgerufen. So gesehen kann man davon sprechen, dass das Gewissen die Fühlmöglichkeit dafür ist, was mit meinem Tun wird und werden kann.
Das Gewissen versetzt mich in die Lage zu spüren, was mein Tun und mein Unterlassen bewirkt. Diese Fühl- und Spürcharakter des Gewissens ist eine wesentliche Dimension der Realitätsfähigkeit des Menschen. Die goldene Regel etwa lässt sich nur authentisch argumentieren, wenn sie auf der Möglichkeit basiert, das ein Mensch sich in die Situation eines Anderen hineinversetzen kann.