Ein Gespräch über Gnosis und Kunst

Über das ferne Licht der Sterne

"Gnosis" heißt so viel wie Erkenntnis, und um Erkenntnis geht es dem Philosophen Thomas Macho genauso wie dem Maler Anselm Kiefer. Beide geben aber den alten Fragen "Woher kommen wir? Wohin gehen wir?" eine eigene Wendung.

Thomas Macho über die Weltsicht der Gnosis

Die Sehnsucht nach Unendlichkeit und die Sehnsucht nach Unsterblichkeit sind Motive, die für die klassische Gnosis charakteristisch sind. In der Moderne kann man nicht mehr so einfach von den beiden alten Fragen "Woher kommen wir? Wohin gehen wir?" ausgehen, trotzdem bleiben dieselben Motive lebendig. Gerade für die moderne Kunst sind diese gnostischen Motive wegbestimmend geworden.

Anselm Kiefer, einer der wichtigsten deutschen Maler der Gegenwart, und der Berliner Kulturphilosoph Thomas Macho, ein Kenner der Gnosis, haben bei einem Symposium in der Akademie der Bildenden Künste in Wien über das Verhältnis von Gnosis und Kunst diskutiert.

Der Skeptiker Anselm Kiefer

Mythen sind das Material, das der Maler Anselm Kiefer in seinen Bildern und Installationen bearbeitet. Er hat ein gutes Verhältnis zu dem, was nicht in rationalen Argumenten aufgeht und ist vielleicht gerade darum skeptisch gegenüber den Antworten der Gnosis. Weder kann er an ein Paradies glauben noch daran, dass die materielle Welt Licht enthält, das man aus ihr nur herausholen muss, und dann die materielle Welt zum Untergang freigeben kann.

"Erkenntnis über das, was die Welt im Innersten zusammenhält, sucht man heute nicht mehr in einer metaphysischen Gnosis oder in Mythen, sondern in der Wissenschaft. Aber je genauer man etwas erforscht, desto deutlicher wird dadurch, wie wenig man insgesamt über die Welt im Ganzen weiß."

Erkenntnis durch Wiederholung von Mantras

Thomas Macho meint, dass Erkenntnis erst durch die Wiederholung von Mantras möglich wird:

"Der Yogi erkennt nicht einzelne Wahrheiten, wie das kleine Einmaleins, sondern sucht durch die Kraft der Wiederholung das, was die Welt im Innersten zusammenhält. Auch Mythen leben von der Wiederholung, davon, dass man sie erzählt und immer wieder erzählt. Die Wiederholung ist nicht sinnlos und langweilig, sondern ein Mittel der Erinnerung. Das Besondere jedoch ist: Man erinnert sich durch die rituelle Wiederholung nicht an Vergangenes, sondern an etwas, das noch kommen wird."

Die Erinnerung in Bildern

In den Werken von Anselm Kiefer spielt Erinnerung und Wiederholung eine wichtige Rolle. Sein Thema ist die deutsche Geschichte und germanische Mythen. Das Dritte Reich, der Nationalsozialismus hat diese Mythen für rassistische und nationalistische Propaganda benützt. Seither sind sie mit einer Art Berührungsverbot behaftet. Kann man diese Bilder vergessen? Muss man sich an den Nationalsozialismus erinnern? Die Werke von Anselm Kiefer kreisen um diese Fragen. Und manchmal geht es auch ganz drastisch um die Haltbarkeit des Materials der Bilder, auf denen diese Erinnerungen festgehalten werden. Auch andere Materialen der Erinnerung wie Steine oder Bücher, deren Seiten er bisweilen versengt, verwendet Kiefer in seinen Werken: "Das Feuer ist ein wichtiges Symbol der Gnosis - ein Symbol für Zerstörung und Untergang, aber auch für Verwandlung," sagt der Maler.

Das Konfliktpotential in der Gnosis

Die Gnosis wird oft denunziert, weil man sagt, dass sie die Welt verachtet und ablehnt. Ein anderer Vorwurf lautet, dass der Gnostiker sich der Welt mittels Erkenntnis bemächtigen und sie beherrschen will. In der Gnosis steckt Konfliktpotential. Die Auseinandersetzungen beginnen bereits in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten und reichen bis heute.

Thomas Macho und Anselm Kiefer sehen beide in der Gnosis eine Art Unterströmung und Gegentendenz gegen Heile-Welt-Fantasien. Und die Gnostiker selbst hatten im Abendland nichts zu lachen, denn sie wurden meist auf unterschiedliche Weise verfolgt. Isaak Lurias Werk zum Beispiel sei eine Reaktion auf die Vertreibung der Juden in Spanien, meint Anselm Kiefer.

Die Schlange im Paradies

In der Antike waren Christen und Gnostiker oft Kontrahenten. Denn auch die Gnostiker erzählten biblische Geschichten, allerdings unter anderen Vorzeichen, wie zum Beispiel die Geschichte von der Schlange im Paradies. Für die Gnostiker ist diese Geschichte gut, weil sie Erkenntnis bringt. Thomas Macho dazu:

"Das Problem der modernen Manichäer ist freilich, dass sie mit der Vieldeutigkeit von Bildern nicht zurecht kommen. In der Antike war das anders. Die Schlange war nicht nur ein Bild der Weisheit oder ein Bild des Bösen, sondern zum Beispiel auch ein Sternbild. In vielen der gnostischen Mythen spielen Sternbilder eine große Rolle."

Die Rolle der Sterne

Gnostiker dachten, dass die Welt dadurch entstanden ist, dass das Licht in die Materie gestürzt ist und sich in der Welt verteilt hat. Die Sterne sind der Ort, an dem sich dieses Licht besonders gesammelt hat. Anselm Kiefer dazu:

"Heute sieht man in den Großstädten fast keine Sterne mehr, denn es ist in den Straßen viel zu hell. Und die Astronomen klagen darüber, dass es eine Lichtverschmutzung gibt, sodass die Sterne unsichtbar werden. Dabei erfreuen sich Bücher über Sterne großer Beliebtheit - vielleicht, weil die Sterne so schön bunt abgebildet werden, wie sie gar nicht sind."

Ist moderne Kunst gnostisch?

Man hat der Gnosis sehr oft vorgeworfen, dass sie die Welt verneint, verachtet oder zerstören will. Vor allem der modernen Kunst wirft man seit dem 19. Jahrhundert vor, dass sie gnostisch sei - beispielsweise weil Maler wie Kandinsky nach dem Geistigen in der Kunst suchen oder aber ganz im Gegenteil, weil Künstler zerstörerische und totalitäre Visionen darstellen wie zum Beispiel Anselm Kiefer oder der französische Dichter Celine, dem man oft seine Nähe zum Faschismus vorgeworfen hat wie übrigens auch dem Philosophen Heidegger.

"Auch beim Philosophen Heidegger findet man Spuren der Gnosis - zum Beispiel spricht er wie die gnostische Taufformel des Valentinus von dem Geworfensein des Menschen", sagt Thomas Macho. "Das heißt: Menschen kommen auf die Welt und werden in Lebensumstände geboren, die sie sich nicht ausgesucht haben."

Das Licht der Sterne

Menschen leben nicht im luftleeren Raum, sondern sie kommen an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit auf die Welt. Sie haben eine Herkunft, die von Religion und Kultur bestimmt wird - also von Geschichte, die man sich erzählt und wieder erzählt und weiter erzählt ...

Und mit der Herkunft der Menschen ist es wie mit dem Licht der Sterne: Man sieht es, aber man weiß nicht, ob der Stern, von dem das Licht kommt, noch existiert.

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