Das erste Transatlantikkabel
Rausch
John Griesemer erzählt zwar von höchst komplizierten Dingen - von Telegrafie und Elektrizität, von Nautik und Statik, doch dies verpackt er in eine Story, die eher an "Vom Winde verweht" als an Technikgeschichte erinnert - und das ist durchaus positiv gemeint.
8. April 2017, 21:58
Am Anfang war das Meer. Hier war Europa - dort Amerika. Zwar wusste man gut Bescheid über die andere Seite und auch genau, wie groß die Entfernung bis dorthin war, doch wollte man diese überbrücken, brauchte man Zeit, Geduld und Geld.
In unsere Welt, wo wir mit Mobiltelefonen von Afrika nach Grönland telefonieren können, scheint es nahezu unglaublich, dass es vor gar nicht so langer Zeit nicht möglich war, ein Gespräch zwischen London und New York zu führen. Man konnte nur Briefe schreiben, und die waren dann mehrere Wochen auf einem Schiff über den Atlantik unterwegs.
Wir schreiben das Jahr 1857. Die so genannte zivilisierte Welt windet sich in den Geburtswehen der Moderne. Einzelne Menschen, wild entschlossen, ihre Ideen durchzusetzen, erfinden Dinge, die den normalen Menschen als irrwitzig und größenwahnsinnig erscheinen. So wird in London gerade das größte Schiff aller Zeiten gebaut und in Amerika tüfteln Ingenieure und Geschäftsmänner an der Idee, die alte und die neue Welt mittels eines Telegrafenkabels zu verbinden.
Perle auf der Müllkippe
Der Amerikaner John Griesemer fand auf einer Müllkippe ein altes Magazin und blieb beim Durchblättern an der Geschichte einer Transatlantik-Kabelverlegung hängen. Und Griesemer, der sich weder besonders für Technik interessiert noch ein Freund historischer Romane ist, wusste sofort: Darüber schreibe ich ein Buch.
So ganz geheuer war ihm die Wahl seines Stoffes oft selber nicht: Warum bloß schreibt man einen Roman, in dem sich ein Dutzend Menschen, alle wie aus einem Dickens-Roman entsprungen, rund um ein Zigtausende Kilometer langes Kabel scharen?
Eine Welt für viele Lesestunden
Trotzdem: John Griesemer war durchaus die richtige Person, um diesen Stoff zu erzählen. Und um dies zu erkennen, reicht es eigentlich, den Prolog seines Buches "Rausch" zu lesen: Auf knapp 30 Seiten eröffnet er dem Leser die Welt, in die er einen dann für viele Lesestunden entführt. Wie in einer kleinen Nussschale präsentiert er hier Personal und Romanhandlung schon mal vorab und allein mit diesem Prolog hat Griesemer sich in die obere Liga der amerikanischen Gegenwartsliteraten geschrieben.
Das Verrückte daran ist jedoch, dass "Rausch" in Amerika nicht wirklich ein Erfolg ist. Im deutschsprachigen Raum waren nicht nur die Kritiker begeistert, Zehntausende Bücher gingen bereits über die Ladentische, ein Ende ist nicht abzusehen.
Ein Verlag für Meer-Bücher
Niko Hansen, Chef des marebuchverlages, ist Griesemers deutscher Verleger. Bei mare gibt es nur Bücher, in denen das Meer eine treibende Kraft der Handlung ist. Auf den ersten Blick eine etwas verrückte Idee, doch wenn Niko Hansen sein Verlagskonzept erklärt, erscheint es ganz plausibel:
"Ich denke, das Meer ist vielleicht der einzige thematische Komplex, den es gibt, der das hergibt, dass man ein Programm macht, das sich thematisch bindet ohne ein Special-Interest-Programm für Leute zu sein, die sowieso jetzt Boote haben oder sonst dem Meer eng verbunden sind. Das Meer ist ein Raum, der von Mythen, von Sehnsüchten, von Emotionen ganz besonderer Art besetzt ist, und er hat für uns eine Bedeutung, die weit über das hinaus geht, was wir so mit diesem Komplex Meer verbinden."
Buch-Tipp
John Griesemer, "Rausch", aus dem Amerikanischen von Ingo Herzke, marebuchverlag, ISBN 393638486