Eroberer eines neuen Kunst-Terrains

Ein mutiger Grenzgänger

Er war kein Meister der Vollendung, auch keiner der Galanterie. Aber er zählte zu jenen unorthodoxen Grenzgängern, die ihrer Kunst neues Terrain erobern: Der französische Komponist Hector Berlioz, dessen 200. Geburtstag sich heuer jährt.

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Ein Komponistenleben mit zahlreichen Erfolgen wie Misserfolgen, einigen Anerkennungen und noch mehr Ablehnungen und letztlich ohne Karriere: Hector Berlioz (1803-1869) gehörte nicht zu den großen Virtuosen seiner Zeit, die mit eigenen Werken in den Konzertsälen glänzten - wie etwa der befreundete Liszt.

Als Dirigent seiner eigenen Werke zog er durch Europa, gewann schon früh den begehrten "Prix de Rome" der "Académie des Beaux Arts", wird Stipendiat der Villa Medici in Rom und feiert mit seiner "Symphonie fantastique" - dem bis heute berühmtesten und meistgespielten Werk Berlioz' - 1830 bereits einen großen Erfolg.

Unorthodoxer Querdenker

Dennoch blieb eine Karriere als Komponist aus. Zu unorthodox war sein Werk, zu querdenkerisch seine Gesinnung:

Das Théatre Italien sollte man "mit seiner ganzen Rossini-Bevölkerung in die Luft sprengen" schrieb er wütend.

Neue Wege für künftige Komponisten

Seine eigenen Opern - "Benvenuto Cellini" (1830), "Béatrice et Bénedict" (1862), "Les Troyens" (1863) - hatten kaum Erfolg. Seine Musik für die Konzerthäuser ebnete vor allem für kommende Komponisten-Generationen neue Wege.

Hier liegt das große Verdienst Berlioz': Er schrieb keine Symphonien oder Sonaten in "klassischer Form" wie die Zeitgenossen Mendelssohn-Bartholdy oder Schumann, sondern immer wieder Werke, die an der Grenze zwischen Bühne und Konzertsaal, zwischen Theater und Instrumentalmusik liegen.

Zwischen Oper und Symphonie

So treffen sich in Berlioz' zahlreichen "dramatischen Symphonien" (wie neben der erwähnten "Symphonie fantastique" auch z. B. die "Symphonie dramatique: Roméo et Juliette" von 1839 oder die "Légende dramatique: La Damnation de Faust" von 1845/46) gewissermaßen Oper und Symphonie in der Mitte:

Sie erzählen Geschichten und sind doch konzertante Musik, sie behandeln das Orchesterpodium wie eine Opernbühne.

Ein Experimentator ...

Berlioz experimentierte - im besten Sinne des Wortes: Er suchte neue Verbindungen von Text und Musik, Erzählung und Klang und ebnete der "symphonischen Dichtung" des 19. Jahrhunderts damit so manche Wege.

Nicht zuletzt auch seine bis heute viel studierte Instrumentationslehre "Traité d'instrumentation et d'orchestre modernes" (Paris 1844), in der die Wahl und Zusammensetzung der Instrumente zu einer eigenständigen musikalischen Qualität erhoben wird, beflügelte die Entwicklung der Orchestermusik.

... und ein mutiger Grenzgänger

So war Berlioz vielleicht kein Meister der Vollendung und gewiss (als Autor und Gegenstand von Hohn und Spott) kein Meister von Galanterie.

Er war vielmehr einer jener Grenzgänger, die mehr wagen als andere, zuweilen auch vor den Grenzen des Geschmacks nicht zurückschrecken, dabei scheitern und stolpern, aber auch neues Terrain für ihre Kunst erobern.